Im Dunkeln gingen wir Drei Hand in Hand nachhause, Odo in der Mitte, Anders rechts, ich links. Beim Abendessen sprachen wir ab, dass Odo in meinem Bett übernachten dürfe, während ich mit Anders in dessen Bett schlafen würde, da das breiter war als meines. Daraus wurde jedoch nichts. Kaum hatten Anders und ich uns eingekuschelt, als Odo in der offenen Tür auftauchte, „Kann ich bei euch schlafen, bitte! Ich möcht nicht allein im Bett schlafen.“ „Hier brauchst Du doch keine Angst zu haben, wir passen schon auf, dass niemand hereinkommt!“ wehrte Anders die Bitte ab. Odo jedoch hörte nicht auf zu betteln, „Ich hab keine Angst. Aber zu Hause hab ich auch immer mit meinem Freund Kintu geschlafen. Das war viel schöner als allein zu schlafen. Bitte! Bitte! Wir sind doch Freunde! Ich mach mich auch ganz klein!“
Ich rutschte ganz eng zu Anders, der an der Wand lag und wir begannen Löffelchen zu machen. Sobald Odo unter das dünne Leinentuch geschlüpft war, das wir wegen der Sommerhitze zum Zudecken benutzten, begann auch er sich fest an mich zu drücken. Er roch gut, besonders seine Haare. Die rochen nicht nach Schampon oder nach Seife, sie rochen wie Kuchen. Odo roch nach Vanille. Ich wollte gerade fragen, mit was er sich die Haare waschen würde, als er erschrocken von mir wegrückte und sich ganz an den Bettrad drückte. Im selben Augenblick wurde mir bewusst, was ihn so erschreckt hatte, „Bei der Hitze schlafen wir immer nackt.“ Erklärte ich und Anders kicherte, „Zieh Dich auch aus, nackt schlafen ist viel schöner, vor allem wenn wir zusammen schlafen“ Ich zog Odo zu mir heran und weil er noch zögerte, richtete ich mich auf und zog ihm die Unterhose runter. Das war dann auch alles, denn wir schliefen sofort erschöpft ein.
Wir wachten erst auf, als Alois ins Zimmer rief, „Los mit euch unter die Dusche! Alies macht schon das Frühstück!“ Ich wachte sofort auf, schlängelte mich zwischen Odo and Anders aus dem Bett und rannte zur Dusche. Ich muss Odo aufgeweckt haben, denn bevor ich noch das Wasser angestellt hatte, stand er plötzlich auch im Bad, „Komm unter die Dusche Odo, zu zweit ist‘s schöner.“ rief ich ihm zu. „Erst muss ich aber erst pink..!“ „Kannst hier drinnen, ich muss auch noch. Los!“ Jetzt grinste Odo, stellte sich neben mich in die Dusche, drehte mir den Po zu und begann zu pinkeln. In dem Augenblick kam auch Anders ins Bad. „Wartet! Wir duschen zu dritt, wenn Odo den Bauch einzieht pass ich auch noch rein.“ Odo zog den Bauch rein, dabei klatschte er drauf und zeigte nach unten zwischen seine Beine, „Den da kann ich aber nicht einziehen!“ Anders und ich konnten‘s auch nicht. Das ging erst nachdem ich das Wasser auf eiskalt gestellt hatte.
Später überraschten uns Alies und Haakon mit dem Frühstück. Da Odo, der von Haakons Anwesenheit nichts wusste, große Augen bekam, stieß ich ihn in die Rippen, „Allein hat Alies im Bett auch Angst, was denkst Du warum Haakon sonst hier ist.“ Odo schaute erstaunt und Anders begann ihn zu frotzeln, „Du konntest gestern Nacht bestimmt deshalb nicht einschlafen Odo, weil Alies so lange gejammert hat, bis Haaki ihn getröstet hatte.“ Da fragte er seinen Halbbruder spöttisch, „Alies, Brüderchen, sag doch Odo, dass ich ihn nicht anlüge. Sag ihm, dass Du nicht einschlafen kannst, wenn Haaki Dich nicht fest drückt!“ Alies grinste nur, doch Haaki begann zulachen, „Was Dich aufgeweckt hat Odo, war bestimmt nicht Alies‘ Angstgeschrei. Nein, nein, der jammert immer so wenn‘s unter der Decke heiß zugeht ! Hab ich recht Alies?“ und beide lachten von Ohr zu Ohr..
Nach der Sonntagsmesse hatten wir uns zu einem Ausflug an die Badestelle im Wald verabredet, dem Waldsee. Castor und Pollux warteten schon dort auf uns, denn sie waren mit Pauls Suzi vorausgefahren. Als Anders und ich an dem kleinen See laut lachend aus Alies Bulli sprangen, lagen die beiden schon in der Sonne und ließen sich braun brennen. Odo zögerte, als er seine beiden Lehrer in Badehosen in der Sonne liegen sah. Alies musste ihn benahe aus den Auto zerren, „Lehrer sehn in Badehose auch nicht anders aus als Du und ich. Wenn sie Angst hätten sich in der Öffentlichkeit in der Badehose zu zeigen, wären sie doch nicht hier! Schau wieviel Badegäste hier sind, auch Internatsschüler.“ Und er zeigte zum See, „Komm schon.“
Die erste Viertelstunde tobten wir ale zusammen im Wasser bis uns kalt wurde. Dann hockten wir uns im Schatten einer breiten Buche zum Nachtisch hin. Die vollen Bäuche machten uns schläfrig und wir beschlossen einen Mittagsschlaf zu halten. Ich legte mich zwischen Anders und Odo hin, während die andern vier etwas entfernt hinter dichtem Buschwerk Schutz vor der Sonne suchten.
Nach einer Weile wurde ich munter, während Odo und Anders noch vor sich hin schnarchten. Ich lag neben Odo und sein Vanilleduft hüllte mich wie heut Nacht eine Wolke ein. Im Liegen schielte ich zu ihm, sah aber nur seinen Unterleib in der zu engen hellblauen Badehose von Anders und seine langen Beine. Auf dem Bauch, dort wo die Badehose aufhörte, ragte etwas braun-rotes über den Rand. Es erinnerte mich sofort an meine Lieblingssüßigkeit, die Himbeerbonbons, nur war es nicht so himbeerrot. Ich richtete mich auf den Ellbogen auf und schaute genauer hin. Es war glatt, glänzte und nicht von Zuckerstaub bedeckt, wie ein Bonbon. An der Spitze hatte es eine kommaförmige Öffnung und an dieser hing ein glänzender, durchsichtiger Tropfen. Ich wollte mich gerade über Odo beugen, um den Tropfen vorsichtig ablecken, als mich Carlos Stimme aus dem träumen riss. „Aufwachen, sonst bekommt ihr einen Sonnenbrand! Paul wird Anders auf dem Motorrad nach Altsaß zum Eis holen mitnehmen.“ Ich schaute erst zu Carlo dann zu Odo und wurde ganz rot, als mir aufging was ich gerade hatte machen wollen. Carlo sah meinen roten Kopf und interpretierte meinen roten kopf ganz anders, „Madz, Dein Kopf ist ja schon knallrot. Marsch in den Schatten zum Abkühlen.“ Odo und Anders hatten die Hitze besser vertragen und als Alies und Haaki Odo aufforderten, ging er mit ihnen ins Wasser, um Schwimmen zu üben.
Im Schatten der Büsche legte ich mich neben Carlo auf die Decke. Mit Wasser aus einer Sprudelflasche machte er ein Taschentuch nass und legte es mir auf die Stirn. Durch das Gewebe sah ich die Sonne als roten Ball. Das gab mir den nötigen Mut für meine Fragen. „Hast Du schon jemanden geküsst, Carlo, jemanden den Du mochtest, den Du liebst?“ wollte ich wissen. „Warum fragst Du?“ Ich merkte, dass er unsicher wurde und erklärte „Ich habe schon Anders geküsst, aber als ich versuchte Odo zu küssen, drehte der den Kopf weg und sagte, ich küss keine Jungen! Ich wartete auf Carlos Antwort. Als die nicht kam, fragte ich weiter. „Anders ist anders!“ und musste über das Wortspiel lachen, „Anders ist anders!“ wiederholte ich, „Manchmal küssen wir uns. Er mag das und ich mag das auch. Es ist einfach schön! Warum mag’s Odo nicht? Ich hab nicht gesagt, dass ich ihn liebe. Ich nur gesagt, dass ich ihn mag. Das war alles. Er hat so schöne, dicke Lippen und riecht nach Vanille!“ „Hast Du nur gesagt, dass Du ihn magst,aber nicht verliebt in ihm bist?“ Nach einem Moment ergänzte er, „Kann doch sein, dass er Mädchen lieber hat als Jungs. Du weißt doch selbst, die meisten Jungs lieben Mädchen aber keins Jungs.“ Meine Antwort war klar, „Aber es gibt auch Jungs, die nur Jungs lieben!“ dann fragte ich „Gibt es auch Männer, die Männer lieben?“ „Ja! Natürlich! Das ist genau so schön, wie wenn ein Mann eine Frau liebt.“ „Aber die können doch keine Kinder miteinander haben!“ „Richtig, aber sie könnten aber ein Kinder adoptieren.“ „Würdest Du das machen? Ein Kind adoptieren, Carlo?“ „Das wäre schwierig, bei meinem Beruf. Die Kirche würde das nicht erlauben.“ „Aber könnte nicht Paul ein Kind adoptieren, dann hättet ihr doch beide eines!“ Jetzt lachte Carlo, „Du glaubst, das Paul und ich…….?“ er ließ die Frage in der Luft hängen. „Ja! Du und Paul ihr liebt euch doch, oder? Paul hat‘s mir schon verraten.“ Jetzt zog er mir das Tuch vom Gesicht, „Wenn Du‘s weißt, dann weißt Du auch, dass Männer sich lieben können.“ „Ja ich weiß noch mehr, ich weiß, dass Alies und Haaki sich lieben wie Anders und ich. Aber trotzdem mag ich Odo auch. Glaubst Du, dass ist falsch?“ Jetzt überlegte er eine Weile, „Ich will‘s ja nicht auf Dein Alter schieben, aber mit 11 oder 12 oder 13, da ändert sich die Welt so schnell, vielleicht bleibt es zwischen Dir und Anders so, wie zwischen Paul und mir. Möglich ist aber auch, dass ihr später jemand anderen trefft und alles zwischen euch anders wird.“ Ich zuckte mit den Schultern, denn die Antwort befriedigte mich nicht. „Ja oder nein?“ wollte ich wissen.
Odo, Haaki und Alies kamen durchfroren aus dem Waldsee zurück und spritzten uns nass. „Was habt ihr denn wichtiges besprochen? Ihr wart ja in euer Gespräch ganz vertieft, als wir euch zuriefen, dass ihr auch ins Wasser kommen sollt!“ lachte Haaki und drehte sich zu Odo, „Odo, sag Madz, dass er dein bester Freund ist und versprich ihm, das Du den Kopf nicht mehr wegdrehen wirst, wenn er Dich küssen will.“ Als ich rot wurde, verriet Alies, „Odo hat uns alles erzählt. Er mag Dich und Anders, Dich aber ein klein bisschen mehr! “
Vom Fahrtwind gekühlt kamen Paul und Anders in Altsaß an einem nur lokalbekannten Wallfahrtsort. Paul bremste seine Suzi vor der Gnadenkapelle ab und tuckerte langsam zur Gastwirtschaft, dem ehemaligen Forsthaus. Bei dem heißen Wetter waren die Plätze an den wenigen Tischen vor der Wirtschaft alle besetzt. Eine Bedienung war nirgends zu sehen. Während Paul an der Theke wartete, flitzte Anders zur Rückseite der Gnadenkapelle, die eine mittelgroße Kirche mit kleinem Glockenturm war. Er suchte die Marienquelle, die hinter der Kapelle in einer Höhle entsprang. Von dort floss das schmale Rinnsal zur Apsis und dann in einer Marmorrinne mitten durchs Kirchenschiff zum Dorf. Die Bauern der Umgebung glaubten an die Heilkraft des Quellwassers und brachten ihr Vieh zu Mariahimmelfahrt zur Kapelle. Das Quellwasser sollte Mensch und Tier vor Seuchen und Krankheiten schützen.
Anders folgte dem kleinen Wasserlauf, von dort wo er in der Apsis der Kirche endete zu einen kleinen Weiher, der von der Quelle gespeist. Um den Weiher herum standen die Erlenbüsche so dicht, dass Anders Mühe hatte bis zur Quelle vorzudringen, die in einer Grotte im Berghang entsprang. Der Eingang zur Grotte wurde von einer Marienstatue fast verdeckt. Im Gegensatz zur Kirche, die bestimmt schon 500 Jahre alt war, sah die Statue ziemlich neu aus. Auf den ersten Blick erkannte Anders, da es sich bei der Statue um ein Abbild der Jungfrau von Fatima in weißem Kleid und blauen Umhang handelte, wie sie in der Gegend in vielen Kirchen aufgestellt war.
Anders schaute nach links und rechts. Als er nirgends einen Beobachter entdeckte, quetschte er sich an der Marienstatue vorbei in die feuchte Quellgrotte. Hier war es dunkel und kühl. Im Dämmerlicht erkannte er zunächst kaum etwas. Erst als sich seine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten, entdeckte er, dass das Quellwasser aus einem breiten Riss im Kalkfelsen rieselte. Er wollte unbedingt wissen, ob der Riss weiter in den Berg hinein führte und kroch daher auf allen Vieren in die dunkle Höhlung. Nach einigen Metern bekam er Angst. Ohne Taschenlampe gehst nicht weiter, gestand er sich ein und kehrte mit dem festen Vorsatz um, den Gang in den Berg weiter zu verfolgen und zwar nicht allein, sondern zusammen mit Madz und Odo.
Als er endlich zum Gasthaus zurückkam wartete Paul schon ungeduldig. „Wo hast Du Dich denn herumgetrieben, Anders? Hast Du wieder nach dem Schatz gesucht? In der Kirche ist er bestimmt nicht. Mach schnell und spring auf Suzi, sonst schmilzt das Eis im Eimer.“ „Ich suchte die Quelle. In der Quellgrotte führt ein Gang weiter in den Berg! Aber ich bin nur einige Meter hineingekrochen. Es war zu dunkel und ich hatte keine Taschenlampe mit.“ „Dort drinnen findest Du bestimmt Deinen Schatz nicht. Ich glaub nicht, das der Geheimgang vom Burgverlies bis hier her führt. Ich weiß was viel besseres. Ich schlag‘s euch drei Königen nach dem Eisessen vor!“
Auf der Fahrt über die holprigen Feldwege von Altsaß zurück zum Waldsee hielt Anders den kleinen Eimer mit dem Eiskugeln fest an die Brust gedrückt. Wegen der Sommerhitze und seiner Körperwärme begann das Eis zu schmelzen. Am See angekommen rief er seine Freunde schnell zusammen. Im Schatten der Buche nahm der den Deckel vom Eimer und rief laut. „Eis ist da, das Eis ist da! Schnell, schnell, sonst schmilzt es und ihr müsst euch mit einer lauwarmen Soße aus Vanille-, Schokolade- und Erdbeereis begnügen! Schnell,schnell, geschmolzen lässt das Eis sich schlecht verteilen.“ „Was heißt hier verteilen, die Wirtin hat keine Schalen herausgerückt, nur Löffelchen. Wir müssen daher alle zusammen aus dem Eimer löffeln!“ „Dann kriegt der bestimmt am meisten, der am schnellsten Essen kann“ protestierte Madz, „und wie Kleinen haben das Nachsehen!“ „Nein! Wir löffeln reihum! Jeder darf drei Löffelchen voll naschen, dann kommt der nächste dran.“ „Und wer fängt an?“ fragte Anders. „Bestimmt nicht der, der als erster fragt. Wir halten uns an‘s ABC. Als erster darf also Alies zulangen!“ Der langte so tüchtig zu, dass das Eis fast vom Löffelchen fiel. Er nahm nur Erdbeereis. Anders kam als nächster dran, dann die Brüder Carlo und Haaki, schließlich Madz. Während die vier versuchten von jeder Eissorte etwas aus dem Eiskübel zu holen, nahm Odo nur Schoko. „Ich nehm‘ nur Schokoeis, das passt am besten zu meine Hautfarbe.“ lachte er. Daraufhin löffelte Paul nur Vanilleeis heraus und erklärte dazu, „Wenn Du schwarzes Eis nimmst, Odo, dann muss ich weißes nehmen, denn ich bin fast Käseweiß. Vanilleeis mag ich so und so am liebsten.“ Carlo und Paul, Alies und Haaki kapitulierten bald und überließen Anders, Madz und Odo den Rest der Erfrischung.
Erschöpft und mit leichten Kopfschmerzen vom kalten Eis lagen alle fünf im Schatten, als Anders sich an Pauls Ankündigung erinnerte. „Was willst Du uns denn vorschlagen, Pollux? Ich gaub‘ nicht, dass Du uns was Spannenderes vorschlagen kann, als eine Schatzsuche.“ „Spannend? Vielleicht findet ihr das zuerst nicht spannend. Aber bisher ist bei eurer Suche ja auch nichts herausgekommen!“ „Stimmt nicht!“ meldete ich mich! „Was ist mit dem Buch von Johannis de Montevilla und seiner Reise um die Welt? Ist das nicht ein toller Fund, Pollux?“ „Genau so etwas meine ich!“ hackte Carlo ein, “Du hast das Buch durch Zufall gefunden und den Schatz, den ihr suchtet, wo ist der? Immer noch nicht entdeckt! Ich meine Zufall bringt oft mehr Ergebnisse als Herumstochern im Heuhaufen.“ Das brachte Anders auf, „Der Schatz muss da sein. Seit Jahrhundert erzählt sich das gesamte Dorf vom Schatz! Etwas muss dran sein, an der Geschichte“ „Und? Vielleicht, vielleicht auch nicht!“ meinte nun Alies, „Vielleicht hat Pollux recht und ihre lasst den Zufall zu Hilfe kommen. Lasst ihn doch seinen Vorschlag vorbringen!“ Odo wurde neugierig. „Castor und Pollux? Wer ist Castor und wer ist Pollux?“ „Erklärn wir Dir später Odo. Jetzt nur soviel, Pollux ist der Spitzname von mir, also Deinem Lehrer Paul Beck und Castor der von Deinem Kaplan, Carlo Carstens. Aber Castor soll erzählen, der Vorschlag stammt von ihm. Also Carlo bring schon vor was mindestens so spannend wie eine Schatzsuche ist und dazu etwas, bei dem ihr den Erfolg selbst in der Hand habt.“ Dann schaute er hinauf in die Baumkrone, als wolle er jedes Blatt zählen. Vielleicht aber schaute er auch zum Himmel und hoffte, dass er und Carlo Erfolg haben würde. Carlo, der die Idee ausgebrütet hatte setzte sich auf, lehnte sich an den Stamm der Buche und schaute in die Runde.
„Also am 29. September feiert das Hall-Internat immer den Jahrestag der Klostergründung. Das ist der Tag der Erzengel Michael, Gabriel und Raphael, denen das Kloster geweiht war. Dieses Jahr könnten wir etwas Besonderes veranstalten, etwas was richtig Aufsehen erregen würde. Ich habe dafür schon die Erlaubnis von Herrn Stadtpfarrer Mayer und dem Schulleiter erbeten.“ Carlo nickte in die Runde. „Das Fest zu Ehren der drei Erzengel wird jedes Jahr im Hall-Internat von den Schüler gefeiert. Wir könnten parallel dazu eine Veranstaltung in der Burg durchführen. Dazu laden wir aber nicht nur die Internatsschüler ein, sondern alle Jugendlichen von Hallberg und den Dörfern drum herum, denn es ist Zeit, dass sich Internatsschüler und Dorfjugend besser kennenlernen. Wir laden natürlich auch ihre Eltern ein.“ Als er die Zurückhaltung der Schüler spürte, beeilte er sich ihnen ihre Rolle bei dem Fest klarzumachen. „Ihr könntet Führungen durch die Kirche, die Krypta und durch den Burggarten veranstalten. Ihr könntet die Besucher auf den Bergfried und durchs Museum mit den Marterwerkzeugen führen und ihnen könnt mit ihnen sogar in die Gruft herabsteigen.“ Carlo machte eine Pause, „Und zusätzlich,“ er machte noch eine Junstpause, „Zusätzlich könntet ihr die Geschichte vom Pfeiferhannes aufführen, vielleicht als Moritat.“ Anders, Haakon, Alies, Odo und ich schauten etwas überrascht aus der Wäsche, die wir nicht an hatten, denn wir trugen alle nur Badehosen. Wir, ein Fest organisieren? Wir eine Moritat aufführen? Wussten die andern überhaupt was eine Moritat ist? Wusste es Odo oder Anders? Überrascht und auch etwas ratlos blicken wir von Carlo zu Paul und zurück. „Alies,“ begann Carlo zu erklären, „Du erinnerst dich doch an Pfeiferhannes, s‘Henselin, den Pauker von Niklashausen nicht? Erinnerst Du Dich noch, an die Ausstellung und das Fest, das vor 10 Jahren zur Erinnerung der Bauernkriege in Franken um die Burg herum veranstaltet wurde? Nein?“ Dann fixierte er einen von uns nach den anderen. „Wenn Du dich nicht erinnerst, dann kann‘s Anders erst recht nicht und die Übrigen“, lachte er, „sind noch nicht lange genug Hallberg um etwas über die Bauernkriege und speziell den Vorläufer der Bauernkriege, die Niklashauser Wallfahrt, zu wissen. Ich hab‘s gerade auch erst vom Stadtpfarrer erfahren.“ „Bauernkriege?“ fragte Haakon. „Davon weiß ich nur, dass Götz von Berlichingen dem Vertreter des Erzbischofs zum Mainz auf dem Burgturm zuschrie: Leck mich am Arsch!“ „Ach Brüderchen, Du hast also doch was in der Schule gelernt. Aber in seinem Buch hat der Götz was anderes geschrieben, nämlich Da schriehe ich wider zu ime hinauff, er soldt mich hinden leckhenn.“ Dann lachte er, „Aber darum geht‘s hier nicht Brüderchen. Wir wollen euch vorschlagen, dass wird über eine noch bedeutendere Person etwas aufführen. Wir, dass sind nicht nur Paul und ich, sondern auch der Stadtpfarrer. Es wäre toll, wenn alle Schüler etwas über der Pfeifer von Niklashausen erfahren würden und nicht nur von Götz, weil dem ein rotziger Spruch zugeschrieben wird.“
Ungeduldig riss Paul jetzt das Wort an sich. „Ich kenn die Geschichte erst seit kurzem, aber um die Person, um die es geht ist der Pfeiferhannes von Niklashausen, auch als das Henselin bekannt. Das Henselin wurde, ohne dass er sich selbst dessen bewusst war eine Gefahr für Oberen, die Pfaffen, Grundherren, Adeligen, Fürsten und Bischöfe, sogar für den Kaiser selbst. Er wurde daher nach ein paar dutzend Predigten vom Würzburger Bischof gefangen genommen, hochnotpeinlich befragt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Diese Geschichte passt zur Burg, mit ihrem Verlies, ihrem Bergfried und ihrem Museum mit den Marterwerkzeug. Wir könnten ein kleines Fest organisieren, mit ein paar Buden, die was zu essen und trinken feilbieten und einem Trödelmarkt, einfach ein richtiges kleines Mittelalterfest.“
Wir schauten immer noch ungläubig und Haaki fragte, „Und was wäre unsre Aufgabe dabei? Auf dem Scheiterhaufen verbrennen lässt sich keiner von uns! Bestimmt nicht.“ „Wir dichten eine Moritat über der Pfeiferhannes und Du könnest die Bilder dazu malen.“ schlug Paul vor. „Wirklich?“ fragte Haaki ganz aufgeregt. „Zu jeder Strophe ein Bild? Und die Bilder könnten ich später im Museum ausstelen?“ „Und was tun wir?“ warf Anders sofort ein. „Erstmal müsst ihr die Geschichte von Henselin kennen lernen, dann eine darüber Moritat schreiben, diese einüben und später den Besuchern vortragen.“ „Vorsingen? Auf einer Bühne und so? Ich kann ja gar nicht singen. Ich hab nur eine Piepsstimme. Aber Odo hat ne schöne Stimme.“ „Piepsstimme oder nicht. Eine Moritat muss so klingen, wie Lieder, die Leute daheim oder in der Kneipe gesungen haben. Erinnerst Du dich an Mariechen sitzt weinend im Garten oder Sabinchen war ein Frauenzimmer? Das muss nicht schön klingen. Ja! Je schräger, desto besser! Ich weiß, ihr könnt das! Du und Anders ihr singt die hohe Stimme, Odo und Alies die tiefe und Haaki die Bassstimme.“
Während wir uns noch anguckten und ausmalten wie das klingen könnte, fuhr Carlo mit den Erläuterungen fort. „Die Führungen durch die Ausstellung im Bergfried und einen kleinen Jahrmarkt mit Trödel und alten Büchern habe ich schon erwähnt! Hat jemand Fragen?“ „Ja!“ warf Alies ein, „Könnte nicht auch die Dorfjugend mitmachen, z.b. beim Mittelaltermarkt, mit den Buden und so?“ „Darf ich auch meine Monster auf dem Trödelmarkt anbieten?“ wollte Anders wissen und ich fragte, „Wo kriegen wir den Trödel und die Bücher denn her?“
Alies wusste gleich Rat, „Ich komme bei Reparieren in so viele Häuser, da seh ich oft altes Gerümpel. Wenn‘s hübsch aussieht, frag ich nach, ob wir‘s vertrödeln können. Alte Bücher find ich da auch, die ich den Bauern abschwatzen kann. Wenn die Hallberger Jugendlichen mitmachen, dann können die bestimmt alte Sachen von ihren Onkels und Tanten organisieren. Städter reißen sich um so was!“
Wir überlegten noch, als Alies die nächste Frage einfiel. „Wenn wir Geld einnehmen, also Überschuss machen, was geschieht dann mit den Einnahmen?“ Die Frage konnte ja nur von ihm kommen, denn er war schließlich der einzige Geschäftsmann unter uns. Jetzt herrschte erstmal war Schweigen in der Runde, dann aber wagte sich Odo mit einem Vorschlag vor. Brav wie in der Schule hob er die Hand, „Können wir nicht den Gewinn für die Menschen in meiner Heimat spenden, im Acholi-Land? Damit könnten sie in der Savanne Brunnen bohren, die brauchen immer Wasser für die Felder und das Vieh! Wasser ist dort immer knapp.“ Nach kaum einer Sekunde nickte Carlo und verkündete, „Deinen Vorschlag find ich gut, Odo, den sollten wir genauer besprechen. Wir müssen aber zuvor Ausgaben und Einnahmen miteinander verrechnen und sollten dann entscheiden. Aber wie kommst Du auf diese Idee, Odo?“ Der antwortete ganz aufgeregt, „Papa und seine Freunde sammeln immer Geld für Afrika und ich hab oft beim Sammeln mitgeholfen. Das ist ganz wichtig!“ „Richtig, ich find Deinen Vorschlag auch ganz toll!“ stimmte Paul zu.
Danach vertagten wird die ganze Sache, denn die Sonne verschwand langsam hinterm Wald und es wurde kühler. Bevor wir zusammenpackten und abfuhren versprachen Carlo und Paul noch uns die Geschichte vom Pfeiferhannes, also den Pauker von Niklashausen, dem Henselin an einem der nächsten Abende zu erzählen.