Madz ~ Schulzeit ~ (German)

Kapitel 14: Die Sage vom grausamen Propst und seinem gerechten Ende

Odo war immer noch nicht da, obwohl die Turmuhr schon 12 geschlagen hatte. Wir, also Anders und ich, traten vor der Pfarrhaustür von einem Fuß auf den anderen. Wir wollten ja pünktlich sein. Außerdem hatte mein Magen zumindest ebenso oft geknurrt, wie die Kirchturmuhr geschlagen hatte. Durch das Küchenfenster strömte wunderbarer Bratenduft in den Garten und mischte sich dort mit dem Duft der Rosen. Das machte mich natürlich noch hungriger und Anders erst recht, er war schließlich einen Kopf größer als ich.

Es war kein Wunder, dass wir hungrig waren, denn am Abend zuvor waren wir erst ganz spät eingeschlafen, weil wir noch soviel zu diskutieren hatten.

Das mit dem Diskutieren war natürlich meine Schuld gewesen, hatte ich doch vor dem Einschlafen meinen Freund gefragt „Anders hast Du schon mal Odo zwischen die Beine geschaut?“ Der nickte nur „Na und? Mach ich bei allen, bei Dir, bei Haakon, Alies, sogar bei Paul und Carlo!“ Aber Du siehst nicht täglich was ich sehe, wenn ich neben Odo in der Bank sitze! Sein Spitz ist so fett wie ein Knacker! Glaubst Du‘s nicht? Der ist noch länger als so ein Knacker! Sogar wenn er nicht steif ist. Und gestern im Turnunterricht, als er mich beim Ringen auf den Bauch warf und mich mit seinem ganzen Gewicht auf die Matte drückte. Mensch, da drücke er auch sein fettes Teil ganz fest in meine Poritze. Er bestimmt einen Steifen.“ Anders guckte mich skeptisch an und fragte neugierig, hast‘s der Lehrer nicht gesehn und was gesagt?“ „Ach der? Hat mich nur angezählt!“ Anders schaute neugierig, „Aber im Klo? Hast Du seinen Spitz schon richtig gesehen? Ihr pinkelt doch immer Seite an Seite.“ „Tun wir. Aber Odo dreht sich immer weg, wenn ich neben ihm stehe, der hat Angst, dass ich ihm was weggucke! Aber einmal hab ich einen Blick drauf werfen können. Sein Spitz ist noch schwärzer als sein Gesicht, sogar die Eichel ist nicht rot wie bei uns, es ist bräunlich!“ „Wie groß ist er denn, wenn es steif ist? Größer als meiner?“ Ich zuckte mit den Schultern, sagte aber dann. „Bestimmt, Anders!“ Dann fasste er sich zwischen die Beine, „Glaubst Du der geht bei Dir hinten rein? Der ist bestimt zu dick. Ich hab doch schon Schwierigkeiten mit Deinem Löchle!“ Ich zuckte mit den Schultern.

Dann überlegte Anders einen Augenblick, „Glaubst Du Odo spielt mit uns mit? Du weißt schon was! Ich möchte ihm mal anfassen!“ und er wurde ganz rot vor Aufregung. Das sah ich, obwohl es schon fast dunkel war. „Odo ist ziemlich scheu! Ich glaub nicht, dass er mitmacht, wenn wir miteinander spielen wollen.“ Dann überlegte ich, „Vielleicht wenn er bei uns übernachten darf!“ „Lad‘ ihn doch nachher zum Schlafen bei uns ein, der beneidet Dich doch, weil wir zusammen wohnen.“ Dann betonte er ganz begeistert, „Lad‘ ihn doch nachher ein, wenn wir beim Pfarrer sind. Wenn der ihm erlaubt, bei uns zu übernachten, macht er bestimmt mit.“ Grinsend fasste er mir zwischen die Beine und prüfte, ob ich Spitz hart war, „Ich glaub jetzt D hast Du Lust zum Spielen“ und drückte mich aufs Bett. Natürlich war ich zum Spielen nicht zu müde, obwohl ich schon beim Abendessen laut gegähnt hatte. Wir übten zweimal s’Löchle stopfen, bevor wir einschliefen.

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Endlich kam Odo. Er hatte nichts zum Übernachten dabei nur sein fröhliches Grinsen, was uns recht war. „Odo, Odo, wir sind schon fast verhungert. Wo warst Du so lange?“

Er brauchte nicht mehr zu antworten, denn die Haustür ging auf und Stadtpfarrer Mayer strahlte uns an, „Jetzt sind meine Drei Könige ja vollzählig! Auf in die gute Stube. Ich bin schon halb verhungert.“ dabei tätschelte er seinen dicken Bauch.

Seiner Haushälterin blinzelte neugierig durch ihre dicken Brillengläser, als Stadtpfarrer Mayer Odo durch die Tür schob. „Das ist Magnus‘ Klassenkamerad Odo und seine Unterstützung in allen Nöten.“ Odos Gesicht würde noch dunkler, da er sich über das Lob freute. Dann suchte er eine Ausrede, denn er war bescheiden und wollte für eine Selbstverständlichkeit unter Freunden kein Lob einstecken, „Nein, nein, Madz hilft mir immer und Anders und Haakon auch.“ „Dann hast Du die richtigen Freunde!“ lachte der Herr Stadtpfarrer, aber ich weiß, dass Madz Hilfe braucht, zumindest in Englisch.“ Jetzt wurde ich rot und dachte, das hat sich ja schon schnell rumgesprochen, aber was soll‘s.

Das Mittagessen war noch besser als am Wochenende zuvor und während Anders und ich richtig reinhauten, hatte Odo kaum Zeit zum Kauen, da Fräulein Margreth, die Pfarrköchin, ihn dauernd ausfragte. Erst fragte sie, ob ihm ihr Essen schmecken würde. Als er nickte, ob ihm das Essen in Deutschland überhaupt schmecken würde. Anschließend musste er die Lieblingsspeisen aus seiner Heimat, dem Acholi-Land, aufzählen. Das scheiterte daran, dass er die Namen der Pflanzen und Gemüse, die in seiner Heimat wuchsen, nicht auf Deutsch wusste. Immerhin lernte sie, dass in seiner Heimat nicht soviel Fleisch gegessen wurde wie hier. „Aber die Antilopen und Kudus, die Nilpferde und Elefanten sollen doch dort in großen Herden vorkommen. Habt ihr die nicht gefangen und gegessen?“ Odo lachte nur, „Nein! Meist essen wir Schafe oder Ziegen, jedoch fast nie Schweine!“

Nach dem Essen kündigte Stadtpfarrer Mayer unter Gähnen an, „Jetzt mach ich Mittagsschlaf und ihr könnte im Keller suchen, ob dort der Eingang zum Geheimgang zum Schatz vom Raubritter Veit Scharpf zu finden ist. Macht aber ja nicht soviel durcheinander, werft die Gläser mit dem Eingemachten nicht runter und nascht nicht von der Marmelade!“

Zuerst suchten Anders und ich die Wände nach dem Symbol ab, das wir aus dem Kerker der Burg kannten. Jedoch das Symbol aus dem großen, aufrecht stehenden Stein und den beiden kleinen, runden Steinen, war nirgends zusehen. Als wir Odo erklärten, nach was wir suchten, schloss sich er unseren Bemühungen an. Anschließend  begannen wir die Wände abzuklopfen. Diesmal hatten wir kleine Hämmer mitgebracht, aber an keiner Stelle der Wand tönte es so, als wäre dahinter ein Hohlraum verborgen. Nach 20 oder 30 Minuten gaben wir auf, auch deshalb weil Odo mit den Zähnen zu klappern begann, denn er trug nur ein kurzärmliges Hemd und hier unten war es recht frisch.

Als wir wieder in der Küche standen, lachte Fräulein Margreth, „Keinen Schatz gefunden? Wenn der dort herumgelegen wäre, hätte ich ihn beim Putzen schon aufgespürt.“ Als sie Odos Zittern bemerkte, schickte sie uns in die Bibliothek, „Der Herr Pfarrer wartet schon, er hat was für euch Schatzsucher.“ Die Art wie Fräulein Margreth das sagte, machte mich neugierig. „Bestimmt hat er keinen Schatz und auch keine Schatzkarte. Oder glaubt ihr das? Vielleicht hat er was zum Naschen!“ Anders war nicht so skeptisch und Odo guckte nur blöd aus der Wäsche. „Schatz?“ fragte er. „Vom Schatz kannst Du nichts wissen, aber wenn Du heute bei uns übernachtest, dann erzählt Dir Anders von seinem Verdacht.“ belehrte ich ihn. „Schade, ich muss um fünf im Internat sein. Ich wäre so gern bei euch über Nacht geblieben.“ Anders lachte, „Frag doch den Herrn Stadtpfarrer, der kann‘s Dir erlauben.“

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Wir hatten alle Drei recht:

Der Nachtisch wartete schon. Erdbeeren mit Schlagsahne!

Für mich hatte er eine Geschichte, die uns vielleicht weiterhelfen könnte.

Unser Odo setzte sein schönstes Gesicht auf, als er um Erlaubnis bat bei Anders und mir zu übernachten zu dürfen. Stadtpfarrer Mayer gab sie ihm mit der Auflage, „Aber morgen seit ihr pünktlich in der Kirche!“

Während wir uns über die Erdbeeren hermachten, holte Stadtpfarrer Mayer eine alte Dorfchronik aus einem Bücherschrank. „Wisst ihr eigentlich was vorher dort stand wo heute die Wohngebäude des Internats sind?“ „Ein Kloster, hat uns der Rektor erzählt, aber das ist bei einem Gewitter abgebrannt.“ erinnerte sich Odo und Anders ergänzte, „Nur die Keller sind teilweise noch erhalten.“ „Ja richtig! Aber das ist nicht alles!“ der Herr Stadtpfarrer schüttelte bedeutungsvoll mit dem Kopf. „Es soll aber gar nicht das Gewitter gewesen sein, der das Kloster niederbrannte. Die Leute munkeln, dass es ein Geist war, der das Feuer auslöste, weil er endlich erlöst werden wollte. Aber das vom Geist steht nicht hier in der alten Zeitung von 1834 in der Chronik.“ Jetzt wurde ich hellhörig! Eine alte Zeitung, ein altes Buch und auch noch ein Geist? Sollte es dem Internat nicht auch spuken? Carlo hat so etwas erzählt! „Was steht da in der Zeitung? Darf ich es lesen?“ „Könntest Du, aber ich erzähl euch lieber, was im Bericht steht.“

„Also!“ begann der Stadtpfarrer und lehnte sich in seinem breiten Stuhl zurück und begann erneut, „Also es war an einem Tag im Spätsommer 1834, einer Zeit wie jetzt, tobten  fast an jedem Abend Gewitter. An jenem Nachmittag türmten sich dicke dunkle Wolken am Himmel auf und zu Beginn der Nacht war er schwarz. Weder Mond noch Sterne konnten die schwarzen Wolken durchdringen. Gegen Mitternacht schlief der Wind plötzlich ein, der den ganzen Tag vom Westen her geweht hatte. Die Pause dauerte aber nur Augenblicke, dann setzte der Wind jedoch erneut ein, aber mit noch nie erlebter Wucht! Blitze zuckten von Wolke zu Wolke, von Wolke zu den alten Buchen im Wald, zu den hohen Weiden am Fluss und zum Wetterhahn auf dem Kirchturm. Regen begann vom Himmel zu fallen, nicht in Tropfen, nein, Vorhänge aus Wasser versperrten den Bauern die Sicht. Bald waren alle Wege überschwemmt und das Wasser schoss durch die Kirchgass hinunter ins Tal bis zum Fluss.

Das Gewitter dauerte die halbe Nacht und als die Bauern in ihren Häusern schon aufatmeten, dröhnte ein letzter Donnerschlag durchs Tal. Der riesige Blitz, der dem Donnerschlag folgte und die schwarzen Wolken mit der nassen Erde verknüpften, suchte sich ein besonderes Ziel. Er traf den Dachstuhl des verlassenen Klosters, das dort stand, wo jetzt die Wohngebäude des Internats stehen. Die trockenen Balken des Dachs des fingen im Nu Feuer und bald stand das alte Klostergebäude in Flammen.“

Stadtpfarrer Mayer wartete bis wir alle drei mit großen Augen da saßen und fuhr dann fort, „Im Nu brannte der Dachstuhl des alten Gebäude lichterloh. Vom Dorf aus sahen der Pfarrer und die Bauern die Flammen. Der Dorfschulze ließ das Feuerhorn blasen und rief die Feuerwehrmänner zusammen. Das Tuten des Horns schreckte die Bauern zwar auf, doch sie sammelten sich nicht sofort am Feuerwehrschuppen, da sie immer noch versuchten ihr eigenes Hab und Gut zu retten. Die einen bauten kleine Dämme gegen die Wasserfluten, die die Straßen und Wege herunterschossen, während andere sich bemühten, Schlamm aus den Ställen, Scheunen und Häuser zu schippen. Wieder anderen hockten in durchgeweichten Kleidern auf Dächern und bemühten sich die Löcher, die der Sturm gerissen hatte, vor dem nächsten Regensturm zu flicken. Als der Schulz und seine Feuerwehrleute eine Stunde später zum Kloster kamen, war es bis auf die Mauern ausgebrannt.“

Anders fiel ihm ins Wort, „Ein so schlimmes Gewitter hab ich noch nie erlebt, aber der Blitz hat letztes Jahr eingeschlagen! In die Scheuer vom Bauer Breitenbach. Alies meint aber, es war nicht der Blitz, der das Heu in der Scheuer entzündet hat, sondern eine elektrische Leitung, die der Breitenbach selbst verlegt hatte.“

Ich sah, dass Odo ganz aufgeregt auf seinem Sitz herumrutsche und sogar vergaß von den Erdbeeren zu essen. Kaum hielt Anders den Mund fing er auch schon an, „Einmal hat der Blitz in unsere Hütte zuhause eingeschlagen. Wir konnten gerade noch aus ihr fliehen, bevor sie lichterloh brannte. Bei uns in Uganda sind nämlich die Gewitter viel, viel schlimmer als hier. In der Regenzeit gewittert es jeden Tag.“

„Du musst in der Schule unbedingt erzählen, an was Du dich vom Leben im Acholi-Land erinnerst,“ sagte der Herr Stadtpfarrer Mayer, „aber jetzt lass mich die Geschichte weiter führen.“ Er schnaufte kurz und fuhr fort, „Am nächsten Morgen inspizierte der Schulz und der Pfarrer die Ruine des verlassenen Klosters. Alles war verbrannt, die Decken eingestürzt, die Fenster geborsten, nur noch die kahlen Wände standen. Im Oberstocks, dort wo sich Nord- und Ostwand trafen, fiel ihnen eine Nische in der Wand auf, die keiner von ihnen zuvor bemerkt hatte. In der Nische lehnte ein Bündel an der Wand, das sie an einen schwarz gekleideten Menschen erinnerte.“

Ich riss vor Erstaunen die Augen auf und rannte um den Tisch herum zum Stadtpfarrer, „Gibt‘s ein Foto von der Ruine mit dem Bündel?“ „Fotos konnte man damals noch nicht machen, aber Zeichnungen. Hier!“ er rutschte im Lehnstuhl zur Seite, „setz Dich auf die Lehne und schau mir über die Schulter. Hier ist eine Zeichnung vom brennenden Klostergebäude und der Brandruine mit der Nische mit dem Bündel darin.“ Ich kletterte sofort auf die Lehne und steckte meine Nase in die Zeitung. Wirklich, da gab‘s zwei Zeichnungen, eine vom Brand, die andere von der Ruine. 

Der Stadtpfarrer fing nach einer Pause an weiterzuerzählen, „Inzwischen hatten sich fast alle Hallstädter an der Ruine versammelt. Die Wagen, Schläuchen und Leitern der Feuerwehr standen noch von der Nacht zuvor herum. Schläuche brauchten sie nicht mehr, aber die lange Brandleiter war jetzt nützlich. Sie lehnten sie an die Wand und der Dorfschulze stieg zur Nische hoch. Was er dort fand, erschreckte ihn bis ins Mark. „Herr Pfarrer, Herr Pfarrer“ rief er, als er ganz schnell wieder herunterstieg. Widerwillig stieg der Pfarrer hoch. Was er sah, ließ auch ihm einen Schauer den Rücken herunter kriechen. Aus der Kapuze des grauen Gewandes grinste ihn nämlich der Schädel eines Skeletts an. Die Haut spannte sich über die Schädelknochen, die Augenhöhlen waren leer, die Nase war nur ein gezacktes Loch im Knochen, im Oberkiefer steckten graue Zähne und der Unterkiefer hing lose herunter.“

Anders und ich schüttelten uns vor Grauen, obwohl wir bisher weder einen Toten und noch Gerippe gesehen hatten. Odo dagegen, schaute ziemlich ungerührt drein. Wir erfuhren später, dass er viele Tote gesehen hatte, die von der LRA, der Lord‘s Resistance Army nach ihren Überfällen in den Dörfern zurückgelassen worden waren. Aber davon wussten wir damals noch nichts. Auch Stadtpfarrer Mayer wusste das damals noch nicht.

Als er merkte, dass ich zittere, legte er seinen freien Arm um mich und drückte mich fest und führte die Geschichte zu Ende, „Der Pfarrer bekreuzigte sich und beschloss den grausigen Fund herunterschaffen zu lassen und zu begraben. Da er nicht wusste, ob der Tote vor dem Sterben seine Sünden bereut hatte, ließ er den Toten außerhalb des Friedhofs nahe der Kirche beisetzten.“

Dann legte Stadtpfarrer Mayer die Chronik auf den Tisch, „Er wird allmählich eng auf dem Stuhl mit uns zwei, Magnus.“ und schubste mich von der Armlehne. Als ich wieder gegenüber neben meinen beiden Freunden saß, deutete er auf den Bücherschrank hinter sich, „Ich hab Dir doch das alte handgeschriebene Buch gezeigt, Magnus. Ich glaub, da ist die Geschichte von dem eingemauerten Mönch aufgeschrieben oder zumindest was sich die Dörfler über ihn erzählt haben.“ Als ich den Schrank ganz neugierig musterte, lachte er und fischte einen Schlüssel aus der Hosentasche, „Hier hol Dir‘s selbst raus. Es steht auf dem zweiten Brett ganz links.“ Dann grinste er spitzbübisch, „Wenn Du mir versprichst Deine Hausaufgaben gut zu machen, darfst Du‘s mitnehmen und zuhause lesen.“

Wir hatten also weder im Burgkeller noch im Pfarrkeller eine Spur vom Eingang in den Geheimgang zu Veit Scharpf‘s Geheimgang gefunden und natürlich auch nicht den Schatz. Aber ich hatte ja jetzt das handgeschriebene Buch mit den Sagen aus dem Dorf. Vielleicht war das mehr wert als es den Anschein hatte. Vielleicht enthielt es ja Hinweise darauf, wo der Geheimgang oder der Schatz zu finden wäre.

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Vollgefressen und müde kamen wir, also Anders und ich mit Odo im Schlepptau zu hause, also in „Kurzwelle, Langwelle, Dauerwelle“ an. „Ich bin so voll, ich muss mich erst hinlegen!“ verkündete Anders, als wir in sein abgedunkeltes Zimmer eintraten. Trotz der Augusthitze draußen, war es hier angenehm kühl, da wir Vorhänge schon am Morgen zugezogen hatten, damit die Mittagssonne unsere Zimmer nicht aufheizen konnte. Das hatte gewirkt.

Anders ließ sich gleich aufs Bett fallen. Als Odo sich unsicher umschaute, rutsche er zur Seite, „Leg Dich neben mich. Madz macht das auch immer so.“ „Und Magnus?“ fragte Odo bevor er sich neben ihn legte. „Wir haben alle drei hier platz. Komm Madz!“ „Gleich Anders, erst muss ich das Buch verstauen.“

Ich wachte erst auf, als die Strahlen der tiefstehenden Sonne meine Nase kitzelte. Alies hatte den Vorhang aufgezogen und das Fenster aufgerissen, „Pah, hier stinkt‘s verschwitzt. Ihr Drei verschlaft den ganzen schönen Nachmittag. Los auf ihr drei Könige!“

Ich blinzelte gegen die Sonne. Alies stand in Unterhose vor uns und lachte, „Kaspar, Melchior, Balthasar! Die heiligen drei Könige in einem Bett! Wenn das der Her Pfarrer wüsste oder Rektor Brewer! Das gäb mehr als einen Verweis!“

Inzwischen hatten sich auch Anders und Odo aufgesetzt. Odo starrte Alies an, „Dein Bruder?“ wandte er sich an Anders. „Ja, sein Bruder!“ lachte Alies. „Er hat mir schon von Dir erzählt! Aber jetzt schnell, Wir wollten Paul in fünf Minuten abholen. Dann grillen wir oben im Burggarten!“ Im Rausgehen drehte er sich, „Duscht, aber schnell!“

Im Nu standen Anders und ich nackt vor Odo. Dessen Gesicht wurde noch dunkler, als er uns so sah und er drehte sich weg. „Komm, zieh Dich auch aus. Wir schau‘n Dir schon nichts ab. Madz und ich duschen immer zusammen und bei der Hitze schlafen wir auch nackt!“ „Und Alies?“ fragte Odo zurück, „Bei der Hitze läuft mein Bruder läuft am liebsten nackt durchs Haus, wegen Dir hat er heute eine Ausnahme gemacht und eine Unterhose angezogen! Los jetzt!“

Zu dritt passten wir kaum in die Dusche, vor allem weil Odo sofort einen Steifen bekam, als wir uns im kleinen Duschbecken drängten. Anders beäugte Odo, „Toll sieht das aus, darf ich da dranfassen?“ Odo wäre fast aus Dusche gesprungen, aber ich hielt ihn fest und drehte das lauwarme Wasser auf kalt. Nach ein paar Minuten unter der kalten Dusche hatten wir Gänsehaut und Schrumpelspitzchen, auch Odo.

Frisch geduscht und angezogen machten wir uns mit Alies’ Bulli auf den Weg zu Carlo, bepackt mit einer Tasche Würstchen und einigen Flaschen Limonade. Alies hupte Paul heraus und in weniger als fünf Minuten waren wir auf der Burg. Dort glühten schon die Kohlen auf dem Grill und Haakon begrüßte Alies mit einer Umarmung. Es sah aus, als hätten sie sich schon eine Ewigkeit nicht gesehen!

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Das Buch „Sagen aus und um Hallberg“ hatte ich mitgebracht, natürlich fein säuberlich in Papier eingepackt. Nach dem Essen, es war inzwischen schon düster und die ersten Fledermäuse flatterten um den Bergfried. Auf der Jagd huschten sie lautlos über den Abendhimmel, während die Mondsichel langsam höher stieg. Carlo hatte eine flackernde Kerze auf den Tisch gestellt und ich begann die Geschichte vorzulesen. Sie hieß

„Die Sage vom grausamen Propst und seinem gerechten Ende“

und begann so:

Vor langer Zeit beschloss der Abt vom Kloster Brunnebach bei Dorf Hallberg seine Sommerresidenz zu errichten. Das kleine Gut mitsamt den Leibeigenen war vom letzten Spross des Rittergeschlechts von Niederhallburg dem Kloster vermacht worden, um Verzeihung für seine Mordtaten von Gott dem Herrn erhalten. Mit dem Bau der Sommerresidenz mit Scheunen und Stallungen beauftragte der Abt den Cellerar des Klosters, Pater Suitbert, der große Erfahrungen auf allen Gebieten der wirtschaftlichen Leitung eines Klosters hatte.

Pater Suitbert hatte seine besten Jahre schon hinter sich. Von Gestalt war er fast breiter als hoch und hatte schlechte Augen. Er war streng aber gerecht und dafür bekannt, dass er die Fronbauern mehr durch seine freundliche Art zu guten Leistungen anspornte als durch harte Strafen. Wenn einem Jahr die Ernten schlecht ausfielen, erließ er Fronbauern auch schon mal einen Teil der Abgaben und sicherte damit ihr Überleben. Auch in Niederhallburg gewann er schnell das Vertrauen der Fronbauern und Leibeigenen sowie ihre Achtung. Die Dörfler wiederum zeigten ihre Dankbarkeit, indem sie beim Aufbau der Klostergebäude mehr halfen, als sie ihrem neuen Fronherrn, dem Abt von Brunnebach, schuldig waren. Dadurch schritt der Klosterbau rüstig voran und zu Beginn des dritten Winters waren sowohl Ställe und Scheunen als auch die Wassermühle fertiggestellt. Auch der Rohbau  des kleinen Klostergebäudes mit Refektorium, Dormitorium, Bibliothek und Kapelle war schon fast fertiggestellt.

Das Unglück für die Dörfler begann, als der Schlitten von Pater Suitbert in einer eisigen Winternacht vom Wege abkam, in den eisbedeckten Fluss einbrach und den Pater mit ins eiskalte Wasser riss. Pater Suitbert erkrankte und starb bald darauf. Noch im selben Winter ernannte der Abt einen neuen Propst für seine Sommerresidenz. Der neue Propst, Pater Trudbert, war in jeder Hinsicht das Gegenteil von Pater Suitbert, nicht nur von Alter und  Aussehen her, sondern auch von Charakter und Temperament. War Suitbert rundlich, zugänglich und mitfühlend gewesen, war der hochgewachsene Trudbert dürr wie ein Rechen. Noch schlimmer, er war ebenso geizig, wie kaltherzig und ebenso rechthaberisch wie jähzornig. Pater Trudbert war hatte der Überzeugung, dass alles so verlaufen müsse, wie er es bestimmt. Als er den Büchern entnahm, dass die Fronbauern mit ihren Abgaben im Rückstand waren, forderte er den Zehnt sofort ein, obwohl er über die verzweifelte Lage der Bauern nach der schlechten Ernte im Bilde war. Er handelte nach dem Motto, Gott gehört was Gott gehört und Gottes Wille muss durchgesetzt werden. Da er sich einbildete zu wissen, was Gottes Wille war, entschied er dass sein Wille, also Propst Trudberts Wille, auch Gottes Wille war! Für die Fronleute hieß das, entweder begleicht ihr eure Schulden oder ihr leistet Sonderdienste. Wenn nicht, dann werdet ihr aus euren Häusern und von eurer Scholle verjagt.

Während Pater Suitbert alt und abgeklärt gewesen war, stand Pater Trudbert in der Blüte seiner Jahre und hatte entsprechende Gelüste! Die gedachte er jetzt, da der Abt von Kloster Brunnebach weit weg war, auszuleben. Als Sonderdiensten dachte er sich daher etwas besonderes aus. Als die Bauern fragten, „Welche Art von Sonderdienste stellt Ihr euch denn vor, hoher Herr? Der Ackerboden ist jetzt mitten im Winter gefroren, wir können also nicht eure Felder bestellen. Getreide haben wir kaum noch und zudem steht die Mühle still, weil der Bach gefroren ist. Am Kloster weiterzubauen ist jetzt bei der Kälte auch nicht möglich, da der Mörtel zwischen den Backsteinen bei der Kälte nicht abbindet und der Gips nicht auf den Wänden hält. Was können wir also tun, um Euch zufrieden zu stellen?“

Propst Trudbert fixierte die Bauern einem nach dem anderen: „Eure Frauen und Töchter können für Euch den Frondienst ableisten. Eine nach der anderen kann mir in den nächsten Wochen das Haus führen.“

Die Bauern fanden das zunächst eine gute Lösung. Der am stärksten verschuldete Bauer brachte schon am nächsten Tag seine junge Frau zum Propst. Als er sie abends abholen wollte, ließ ihm der Propst durch einen Knecht mitteilen, „Deine Frau bleibt hier. Glaubst Du Deine Schulden sind durch die Arbeit eines Tages abgedient? Komm nicht wieder, ich werd sie Dir schon wieder zurückschicken!“ Als die jungen Frau nach zwei Wochen nachhause kam, weinte sie bitterlich, „Nichts konnte ich ihm recht machen! Er beschimpfte und verprügelte mich und nachts musste ich ihm das Bett wärmen.“ Der Bauer konnte sich vorstellen, was es mit dem Bettwärmen auf sich hatte und wurde wütend und wollte den Propst umbringen. Sie aber redete ihm die Rachepläne aus und tröstete ihn, „Schließlich hat er uns ja die Schulden erlassen!“.

Beim nächsten Bauern spielte es sich etwas anders ab. Diese Bauersfrau war schon Großmutter und im Dorf für ihre scharfe Zunge bekannt. Dies schien Propst Trudbert gar nicht zu gefallen. Schon am nächsten Morgen stand sie wieder am Eingang der kleinen Hofstelle und schimpfte wie ein Rohrspatz, „Nichts konnt‘ ich ihm recht machen. Das Essen, das ich ihm auftischte, wäre selbst den Schweinen zu schlecht und ihm Bett wäre ich ausgeleiert wie ein altes Wagenrad! Habt ihr keine Tochter?“ fragte er mich, aber ich zeigte ihm wo der Besen steht.

Der dritte Schuldner war Witwer, dessen Frau im Kindbett gestorben war. Sein Ein und Alles war sein zehnjähriger Sohn. Als er das vorbrachte, meinte der Propst nur höhnisch, „Schick ihn! Er wird Deine Schulden schon begleichen, auch wenn er nicht gut kochen kann. Verlass Dich drauf, ich weiß schon wie!“ Als der Kleine nach fünf Tagen wieder in der väterlichen Kate erschien, hatte er vom Heulen geschwollene Augen. „Was ist denn passiert? Hat er dich verprügelt, bekamst Du nichts zum Essen, musstest Du im Stall schlafen?“ fragte der bekümmerte Vater und nahm ihm in den Arm. „Oh Vater, oh Vater! Viel schlimmer!“ Als der Vater weiter in ihn drang, berichtete ihm der kleine Sohn was ihm angetan worden war. „Ich darf‘s Dir eigentlich nicht verraten, ich hab geschworen nichts zu verraten. Bitte, bitte verrat‘ mich nicht, sonst komm ich in die Hölle!. Ich schähm‘ mich so.“ Als der Vater ihm beim Grab seiner Mutter versprach nichts weiter zu erzählen, beichtete ihm der Sohn, „Gleich nachdem ich ankam, nahm er mich mit in seine Kammer. Dort warf er mich aufs Bett, riss mir die Hose runter.“ „Hat er dich geschlagen? Das ist doch nicht so schlimm, ich hab Dich doch auch schon versohlt!“ Da begann der Junge jämmerlich zu schluchzen, „Aber nein, er hat was gemacht, was Du nie gemacht hättest! Er steckte mir seinen Spitz ins Poloch! Er machte mit mir das, was der Eber mit der Sau macht. Ich musste die Sau spielen, jeden Tag, jeden Tag mindestens dreimal!“ er schnuffelte, setzte dann aber gequält lächelnd hinzu, „Aber Schulden haben wir keine mehr, aber mein Löchle tut weh!“ Der Vater erzählte das Gehörte aus Scham nicht weiter.

So ging‘s bis ins Frühjahr. Aus jeder Haus musste mindestens ein Familienmitglied zum Propst. Alle wussten was passierte, aber keiner im Dorf erzählte welchen Preis Propst Trudbert für den Erlass der Schulden einforderte.

Als letzter war der Maurer dran. Als der seine Schulden abbezahlen sollte, verlangte der Propst, „Ein Vögelchen hat mir zugetragen, Dein Töchterchen sei die schönste im ganzen Gau! Schick sie mir, dann hast auch Du bald keine Schulden mehr.“ Mit schweren Herzen brachte im der Maurer sein liebstes, sein neunjähriges Töchterchen zum Probt. Es war ein zartes, freundliches Kind ohne jedes Misstrauen und nahm den Auftrag freudig an. „Bald haben wir keine Schulden mehr Vater und Du kannst Dir endlich das Handwerkszeug kaufen, das Du dir so sehnlichst wünschst!“ tröstete sie den Vater, „Ich bin ja bald wieder bei Dir!“.

Niemand hatte dem unschuldigen Kind verraten, was der Propst als Gegenleistung  für den Schuldenerlass verlangte. Also stand sie am Abends lächelnd auf der Schwelle des unfertigen Klosters. Aber das Lachen verging ihr, als er sie ins seine Schlafkammer zog, aufs Bett schmiss und über sie herfiel. Er ließ seiner Willkür freien Lauf. Am Morgen kam frei, „Geh heim Du taugst zu nichts! Geh, Geh!“ höhnte er. Als das Kind blutverschmiert nach Hause gewankt kam, fiel sie in eine tiefe Ohnmacht, aus der sie nie mehr aufwachte.

Diese Untat erregte alle Dörfler und sie begannen sich jetzt die Untaten von Propst Trudbert zu erzählen. Alle Nachbarn trauerten und das ganze Dorf schämte sich, weil sie ihre Mädchen, ihre Jungen und jungen Frauen nicht vor dem Ungetüm beschützt hatten. Alle waren empört und schworen Rache. Noch auf dem Friedhof begann der Vater mit Nachbarn Rachepläne zu schmieden.

Es traf sich gut, dass das Obergeschoss des Klostergebäudes noch nicht fertig gestellt war. Als der Mauerer und seine Helfer am nächsten Morgen, die letzte Mauer im Oberstock des Klostergebäudes hochzogen, ließen sie eine mannshohe Nische in der Wand offen. Gegen Abend kam Propst Trudbert wie üblich, um die Fortschritte der Arbeiten zu überprüfen. Die Nische in der Wand fiel ihm auf. Er begann sofort zu schimpfen und fluchte , „Zum Teufel, was soll das Loch? Verdammte Maurer schließt die Nische sofort! Wenn die heute Nacht nicht zu ist, dann büßt ihr das!“ „Natürlich hoher Herr!“ und der Mauer, verbeugte sich untertänigst, „Ganz zu Ihren Diensten, ich muss mich nur noch nach dem Schlägel bücken!“ Der Propst drehte sich um, um zu gehen, fragte aber noch „Für was brauchst Du einen Schlägel, eine Kelle reicht doch auch!“ „Heute aber nicht!“ antwortete der Maurer, hob den Schlägel auf und schlug dem Propst das schwere Holz über den Kopf. Dann verschnürten er und seine Helfer den Propst zu einem Bündel, stellte es in die offene Nische und mauerte sie zu. Nur in Augenhöhe lies er einen schmalen Spalt offen.

Als der Maurer am nächste Morgen zurückkam, war der grausame Propst aus seiner Ohnmacht erwacht und sich seine schlimmen Lage bewusst. Er schrie um Hilfe, fluchte, stöhnte verwünschte sich und die Welt. Durch den schmalen Spalt erkannte er den Maurer. Er begann ihm zu drohen, ihn zu verfluchen und endlich anzubetteln. Er versprach ihm Reichtum und Gold, die Freiheit und das ewiges Leben. Der Maurer aber mischte neuen Mörtel an, nahm den noch fehlenden Stein und verschloss den Spalt in der Mauer.

Nach einer Woche tönten weder Schreie noch Röcheln aus der zugemauerten Nische. Die Dörfler aber schickten einen Boten zum Abt mit der Nachricht, „Jetzt ist auch der letzte Stein in die Mauern Eurer neuen Sommerresidenz eingefügt, Exzellenz! Kommt und weiht das neue Kloster ein. Wir werden Euch ein Fest bereiten, das Ihr nie vergessen werdet!“

Bei seiner Ankunft vermisste der Abt den Propst, „Wo ist mein lieber Pater Trudbert?“ erkundigte er sich. „Er verschwand ganz plötzlich, noch bevor der letzte Stein eingefügt war.“ antworte der Maurer und die andern bestätigten seine Worte. Und dabei blieb es!

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Ich schaute in die Runde. Haakon und Alies fehlten. Dann erinnerte ich mich, dass sich die beiden gleich zu Anfang aus dem Lichtkreis geschlichen und im Gestrüpp zwischen der Burg und dem Bergfried verschwunden waren. Inzwischen kannte ich sowohl den Garten um die alte Burg als auch die beiden gut und schloss, dass sie durch den verwilderten Garten zu einer Bank an der bröckligen Burgmauer geschlichen waren. Was sie dort machten? Wahrscheinlich das, was sie immer taten, wenn sie sich unbeobachtet glaubten. Ich ahnte was sie taten, denn Anders hatte mir verraten was die beiden in Alies Zimmer taten, wenn sie sich unbeobachtet fühlten.

Paul und Carlo, also Pollux und Castor, machten ihren Vorbildern aus der griechischen Sagenwelt alle Ehre. Sie saßen eng aneinander geschmiegt auf der Bank unter der Blutbuche und tanken Wein aus einem Glas. Nur Anders und Odo waren bei mir im Lichtschein der Lampe geblieben.

 Anders schien zu Beginn der Geschichte gespannt zu lauschen, ich verdächtigte ihn aber, dass er überlegte, wie er in die Kellerräume des Internat ungesehen eindringen könnte, um dort nach dem Ende oder der Fortsetzung des Geheimgangs zu suchen.

Odo hatte zu Anfang ebenfalls gespannt gelauscht, aber als ich zu den schrecklichen Ereignissen mit dem Jungen kam, fing er an zu zittern, hielt sich die Ohren zu und versuchte den Kopf zwischen den Beinen zu verstecken. Es kam noch schlimmer, denn als ich von dem kleinen Mädchen vorzulesen begann, rastete er plötzlich aus. Odo murmelte zuerst etwas in seiner Heimatsprache, schüttelte dann die Fäuste, sprang endlich auf und wollte in die Dunkelheit fliehen. Anders konnte ihn gerade noch am Ärmel packen, ihn auf die Bank drücken und dort mit Gewalt festhalten. Am Ende der Erzählung schrie er, begann zu fluchen, fluchte in seiner Sprache, in Englisch und schließlich in Deutsch. „Dieser Mörder!“ schrie er, wechselte dann verfiel ins Englische: „Murderer, rapists, criminals!” brüllte er, “They killed my best friend Kintu. They killed Kintu!” dann fuhr Odo mit leiserer Stimme fort, “Joseph Rao Kony, the bruta warlord, abducted us boys. Out in the savannah the horrible head of the Lord‘s Resistance Army mutilated my dearest friend! First he chopped off his arms! Then his head!” Odo begann zu weinen, „I and all the other boys of our village had to watch the murder. We were horror-stricken. Days later we were sat free. When we arrived back in our village all huts were burned down, everywhere we found decaying corpses of men and livestock. I looked for my mother, my sisters and could not find them. They were gone, gone for ever!

Paul und Carlo stürzten heran. Carlo nahm Odo in die Arme, der wie Espenlaub zitterte und Paul holte ein feuchtes Tuch und wischte damit sein glühendes Gesicht ab. Anders und ich wussten nicht was wir tun sollen! Wir standen um die drei und versuchten zu begreifen, was Odo heraus gebrüllt hatte. Haakon und Alies wurden durch Odos toben und sein Gebrüll ebenfalls aufgeschreckt. Sie tauchten aus dem dunklen Garten auf und standen fassungslos neben uns.

Langsam beruhigte sich Odo. Er hörte auf zu zittern und weint nur noch leise. Als er bemerkte, dass wir alle um ihn herumstanden, begann vorsichtig zu lächeln, „Das ist lange her! So lange schon! Jetzt ist es vorbei!“ dann setzte leise hinzu, „Nur manchmal träume ich noch davon.“ Dann löste er sich aus Carlos Umarmung und kam zu mir und Anders, umarmte uns beide, „Ich hab doch jetzt neue Freunde!“

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