Madz ~ Schulzeit ~ (German)

Kapitel 16 Odo und Kinto

Es war schon dunkel als Alies die Straße vom Dorf zum Hall-Internat herunterkurvte und Odo am Tor ablud. Die Fenster der Zimmer im Wohnheim für die jüngeren Schüler warfen helles Licht in den Garten. Nur in einem Zimmer schien kein Licht zu brennen. Odo starrte zur dunklen Fensteröffnung und wurde plötzlich besorgt. Wo war Tobias, sein Zimmerkollege Tobi? Schlief er schon? Unwahrscheinlich! War er  ausgegangen? Noch unwahrscheinlicher, denn außerhalb der Schulstunden zog Tobi sich fast immer in ihr gemeinsames Zimmer zurück. War er abgereist? Hätte er mir doch gesagt. Stumm war er ja nicht, obwohl er Odo gegenüber sehr scheu war, wie auch gegenüber den anderen Klassenkameraden! Odo schüttelte beunruhigt den Kopf und stürmte dann die Treppe hinauf. Im Flur angekommen, riss die Tür zu ihrem Zimmer auf und atmete erleichtert auf. Tobias lag auf dem Bett. Es brannte nur eine winzige Funzel, sein Leselicht und er hatte ein Buch vor der Nase. „Mann hab ich einen Schreck bekommen, weil aus unserm Fenster kein Licht drang, Tobi. Ich bin echt erschrocken!“ Tobias legte das Buch weg, drehte sich zur Wand und murmelte etwas. Odo fragte nach. „Was? Sprich doch lauter.“ Stockend kam die Antwort, „Du hast mich ja allein gelassen, den ganzen Samstag und Sonntag!“ Dabei zog er sich trotz der lauen Nachtluft die Bettdecke über den Kopf.

Odo war des anklagenden Tons wegen wie vor den Kopf gestoßen. Zunächst überlegte er was er machen solle und setzte sich, außer Atem vom schnellen Treppensteigen, auf sein eigenes Bett. Tobi mochte ihn nicht, glaubte Odo, zu mindestens schien er Angst vor ihm zu haben, vielleicht da er größer war, vielleicht weil er schwarz war. Plötzlich entschloss er sich. Er hatte doch gestern und heute erlebt, dass Madz, Anders, Haaki, Alies und sogar Lehrer Beck und Kaplan Carstens, also Paul und Carlo, Freunde waren, auch seine Freunde waren und sogar Stadtpfarrer Mayer mochte ihn. Er nahm allen Mut zusammen, stand auf und ging rüber zu Tobias. Dort setzte dort auf die Bettkante und berührte ihn vorsichtig an der Schulter. Er merkte sofort, dass  Tobias schluchzte, so schluchzte, dass er am ganzen Körper zitterte. Odo beugte sich über ihn und versuchte ihn umzudrehen, damit er sein Gesicht sehen könnte. Als ihm das nicht gelang, legte er sich hinter Tobias aufs Bett, legte einen Arm um ihn, zog ihn zu sich. Als Tobi nicht reagierte flüsterte er, „Tobi, Tobi! Wein doch nicht! Ich mag Dich doch. Ich bin doch Dein Freund!“ Tobias versuchte ihn wegzustoßen. Als das nicht gelang, drehte er sich mit einem Ruck auf den Rücken und versuchte ein Lächeln. Mit tränenverschmierten Gesicht und erklärte er mit heißerer Stimme, „Ich wein doch gar nicht, ich tu nur so!“

Odo glaubte ihm kein Wort, machte jedoch er so als ob er ihm glaubte. „Weiß ich doch Tobi! Warum solltest Du auch?“ dann brach er ab und fragte lieber „Was hast Du denn den ganzen Samstagnachmittag und heute gemacht? Nur hier gelegen? Nur gelesen?“ Tobias schnuffelte, dann brach‘s aber aus ihm heraus. „Natürlich hab ich gelesen. Was sollte ich denn sonst machen. Es war ja niemand da, mit dem ich hätte was unternehmen können.“ dann setzte er noch leise hinzu, „Mich mag ja niemand. Ich hab ja hier keinen Freund!“

Odo wurde plötzlich heiß. Ihm fiel ein, wie es ihm gegangen war, als er mit Papa in Deutschland angekommen war. Niemanden er kannte, alle seine Freunde waren im Kitgum, im Acholi-Land geblieben und seinen besten Freund hatte die LRA umgebracht. Jetzt verstand er Tobias und er wusste was er machen musste. Er beugte sich zu Tobias. „Zuhause hatte ich einen besten Freund, zuhause hatte ich Kintu. Aber Kintu ist tot  und ich könnte einen neuen Kintu gebrauchen.“ Er stellte sich einen Augenblick Kintu vor. Wenn Kintu doch noch leben würde und hier mit ihm das Zimmer teilen könnte! Er seufzte, „Weißt Du Tobias, mit Kintu konnte ich alles machen, Spielen, Vögel jagen, Schafe und Kühe hüten, den Kälbchen Wasser vom Dorfbrunnen bringen, sogar Raubvögel verscheuchen, die es auf die Hühner abgesehen hatten und manchmal auch die wilden Hunde. Wir sind zusammen in die Schule gegangen, jeden morgen in der kühlen Jahreszeit sind wir zusammen in die Schule gegangen. Mehr als eine Stunde hat das gedauert. Und abends, abends wenn wir müde waren von Spielen haben wir zusammen unterm Moskitonetz geschlafen. Wir haben immer Löffelchen gemacht. Ich lag hinten, Kintu hockte sich auf meinen Schoß und dann schliefen wir die ganze Nacht ganz fest. Nicht einmal ein Gewitter konnte uns aufwecken. Wenn wir zusammen schliefen hatten wir nie Angst vor Donner und Blitz und Gewitter gab’s bei uns im Herbst fast jede Nacht.“

Tobias hatte Odo aufmerksam zugehört und darüber fast seinen Kummer vergessen. Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er zog Odo, der sich beim Erzählen aufgesetzt hatte zu sich herunter, „Odo, wir gegen doch auch zusammen zur Schule und ich heiß doch Tobias Kinne. Das kannst Du doch abkürzen und zu einem neuen Namen zusammen fügen, zu Kinto. Du kannst Kinto zu mir sagen. Kinto klingt fast wie Kintu und dann hättest Du einen neuen Kintu und ich einen Freund, den ich mir so sehr wünsche.“

Odo musste über den Vorschlag nachdenken. Konnte er überhaupt Kintu durch jemand anderes ersetzen? Konnte er ihn durch Tobias Kinne ersetzen, der doch gar nicht so wie Kintu aussah? Und Tobias? Der war selbst über seinen über Vorschlag erschrocken. Er hatte noch nie einem anderen Jungen seine Freundschaft angeboten. Konnte er es überhaupt wagen, Kintu ersetzen zu wollen? Und dann die andern, mit denen Odo befreundet war, Madz, Anders. Haakon. Er lächelte Odo schüchtern an und entschloss sich dann mit Odos Freunde anzufangen. „Odo ich habe auch nichts dagegen, dass Du mit Madz, Anders und Haakon befreundet bist. Ich möchte auch mit denen befreundet sein. Und das mit Deinem Freund Kintu. Ich kann ihn nicht ersetzen, bestimmt nicht. Aber lass uns versuchen Freunde zu werden. Wenn Du willst schlafen wir zusammen wenn’s gewittert.“ Da strahlten plötzlich beide und Odo schlug vor, „Abgemacht! Lass uns von jetzt ab Freunde sein und immer zusammen schlafen wenn wir wollen, nicht nur wenn‘s gewittert. Zusammen schlafen so wie ich’s und Kintu gemacht haben. Du wirst sehen, zusammen schlafen ist schön!.“ Tobias nickte, lächelte glücklich und begann leise zu singen, „Odo und Kinto sind Freunde, Odo und Kinto schlafen zusammen! Odo und Kinto sind Freunde, Odo und Kinto schlafen zusammen!“  Das taten sie dann auch und schliefen glücklich ein.

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Odo drehte sich um. Irgendetwas war anders als sonst wunderte er sich. Dann aber war‘s wie immer. Es klopfte dreimal an der Tür, dann ging die einen Spalt auf und der Flurdienst steckte den Kopf rein. „Ey aufwache ihr beide! Woldd ihr verschlafe? S’isch höchste Zeit!“ Erichs Stimme, also die des Flurdienstes, riss Odo vollends aus dem Schlaf. „ Ihr habt wohl d’Bedde getauscht?“ lachte er mit unverschämt ausgeschlafenem Grinsen. „Wenn sonst nichts ist! Los zum Wasche und dann zum Frühstück!“ Jetzt wurde Odo klar was diese Nacht anders gewesen war als sonst. Er war bei Tobias im Bett eingeschlafen. Aber wo war Tobi, also Kinto? Während er zum Klo huschte, fiel‘s ihm wieder ein. Er und Tobias, also von jetzt an Kinto (er wiederholte „Kinto“ noch viermal) waren zusammen in Kinto‘s Bett eingeschlafen. Löffelchen hatten sie gemacht, wie er und Kintu immer zu Hause im Acholi-Land! Jetzt fiel ihm sogar ein und dass er einen Steifen bekommen hatte, als Tobias sich mit seinem Po ganz fest in seinen Schoß gedrückt hatte. Hoffentlich hat der nichts gemerkt, dachte er. Wenn er meinen Steifen gespürt hat, denkt er noch sonst was! Und ihm wurde ganz heiß! Nach dem Pinkeln wurde sein Kleiner endlich wieder schlaff und er konnte ohne Scheu den Flur entlang zu ihrer Bude zurück spazieren. Jetzt störten ihn auch die offen Türen nicht mehr und die andern Schüler, die im Flur hin und her rannten.

Kinto wartete schon im Zimmer. Er lag noch in Odos Bett. „Mensch Odo, Du hast ja `ne richtige Kuhle in der Matratze. Ich konnt‘ richtig gut drinn schlafen!“ strahlte er. Doch schon im nächsten Augenblick schienen ihn Sorgen zu plagen. Es war eigentlich nur eine Sorge, „War‘s Dir gestern Abend ernst oder hast Du das nur gesagt?“ Odo der gerade eine frische Unterhose im Schrank suchte, drehte sich zu Tobias, der sich im Bett aufgesetzt hatte, „Mit was ernst? Was meinst Du?“ Tobias‘ Kinnlade klappte herunter, „Weißt Du‘s wirklich nicht mehr?“ Odo spürte direkt, dass Tobias gleich zu heulen anfangen würde und da fiel es ihm ein, was er meinen könnte. „Natürlich weiß ich‘s noch! Wir sind jetzt Freunde und ich darf Dich Kinto nennen.“ Odo trat an Bett und zog Tobias hoch und weil ihm nichts einfiel mit dem er überzeugen könne, dass es ihm damit ernst sei, gab er ihm einen Kuss auf die Nase. „Kinto, Du bist und bleibst mein Kinto! Glaubst Du, ich hab mir’s anders überlegt? Gleich nachher sag ich‘s Madz und in der Pause auch Anders und Haaki, dass ich meinen Kintu wieder gefunden hab, nur dass er aber jetzt Kinto heißt und klein und weiß ist. Ich sag auch, uns beide nichts trennen kann.“

Als beide frisch geduscht und sauber gekleidet am Frühstückstisch saßen und die Meute der andern Internatsschüler um sie herum lärmte, sagte Odo leise. „Gut, dass Erich uns beide im einem Bett gefunden, sonst würd‘ er es überall rumtraschen.“ Nach einem Moment wollte er wissen, „Warum bist Du eigentlich in mein Bett gegangen.“ „Gegangen? Geflüchtet bin ich. Du hast Dich später so breit gemacht und mich fast an der Zimmerwand zerquetscht. Da bin ich über Dich rüber gestiegen und hab in Deinem Bett weitergeschlafen.“ „Tut mir leid, ich wollte Dich wirklich nicht zerdrücken, aber ich bin halt ein Stück größer und dicker wie Du, Du Fliegengewicht!“

Plötzlich fiel Kinto noch etwas ein. Bei dem Gedanken wurde er ganz rot, wollte aber nicht sofort damit herausrücken. Als Odo fragend die Stirn runzelte und anfing, „Du willst doch noch was sag…..“ Dann nahm er all seinen Mut zusammen lächelte ihn ganz schelmisch an, „Du bist nicht nur viel dicker. Als wir Löffelchen machten, das hast du mir plötzlich was ganz hartes in die Poritze gedrückt. Weißt Du was ich meine?“ Jetzt wurde Odo rot, d. h. nicht rot aber seine dunkelbraune Haut wurde noch einen Schattierung dunkler und er senkte den Kopf und murmelte, „Ich konnt‘ nichts machen. Auf einmal stand der halt. Bitte entschuldige!“ „Tu ich nicht! Ich mocht‘s doch.“ Nach einem Moment fügte er leise hinzu, „Du musst mir deinen heute Abend zeigen. Ich bin neugierig, wieviel Deiner größer ist als meiner.“ „Dann bist Du mir nicht böse?“ Tobias schüttelte nur den Kopf. „Heute Abend machen wir in Deinem Bett Löffelchen und dann zeigst Du mir Deinen!“ „Versprochen, aber nur wenn ich Deinen sehn darf und….“ er zögerte kurz „und anfassen darf.“ Zum Glück kündigte die Glocke den Unterrichtsbeginn an. Auf dem Weg zum Klassenraum wurde das Zelt in ihren Hosen schnell kleiner, zu ihrem Glück.

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In der großen Pause wurde ich und Odo von Anders schon an der Tür abgefangen. „Wir treffen uns mit Haaki am Zaun gleich bei der Rotbuche.“ „Ist was los?“ fragte ich neugierig. „Klar! Wir wollen besprechen, wann wir alle Zeit haben, damit Carlo uns die Geschichte vom Pfeifer von Niklashausen erzählen kann. Carlo kann am Dienstag nicht, Paul am Mittwoch nicht und Alies am Samstag nicht, da ist Fußball.“ „Warum? Alies hat doch jetzt immer Zeit gehabt!“ Die nächste Spielzeit beginnt bald und da muss er Samstag trainieren. Er sagt, er ist vollkommen raus.“ „Raus?“ fragte ich, „Jaa, untrainiert!“ Plötzlich drehte sich Odo um und rannte zurück, „Musst Du so dringend pinkeln?“ rief ich ihm nach. „Nein, aber ich hab was vergessen!“

Als Odo zu uns zur Rotbuche zurückkam, schob er den sich sträubenden Tobias vor sich her. „Lass mich, ich will nicht mit!“ „Kinto, ich hab Dich ganz vergessen.“ versuchte ihm Odo zu erkläre. Aber Tobias riss sich los. Mit drei Schritten hatte ihn Odo eingefangen, drehte ihm den Arm auf den Rücken und schob ihn in unseren Kreis. „Das ist Tobias Kinne, mein Freund Kinto.“ stellte er Tobias vor. Haaki und Anders, die Tobias nur vom Sehen kannten machten große Augen. „Wir haben uns gestern geschworen, dass wir Freunde sein wollen und jetzt hatte ich ihn vergessen mitzubringen. Er hat geglaubt, das ich ihn jetzt nicht mehr mag, aber ich mag ihn und möchte das er unser aller Freund wird.“ „Und warum?“ fragte Haaki und zog die Augenbrauen hoch. „Ich mag ihn und er mich, reicht das nicht? Aber er hat Angst, dass ihr ihn nicht mögt! Ich darf ihn seit gestern Abend Kinto nennen nach meinem Freund von früher, nach Kintu, von dem ich euch vorgestern Nacht erzählt hab.“ Jetzt erinnerten wir uns, wie Odo um seinen Freund geweint hatte, „Odo lass ihn erst los. Du tust ihm weh!“ befahl Haaki und wandte sich dann an Tobias, „Darf ich Dich auch Kinto nennen?“ dabei legte er ihm eine Hand auf die Schulter und wischte ihm mit der andern die Tränen aus dem Gesicht. „Willkommen Kinto! Ich bin Haakon, für meine Freunde Haaki! Willkommen, jetzt sind wir schon fünf und mit Castor und Pollux sogar sieben.“ Dann grinste er „Sieben auf einen Streich! Trifft auf uns nicht zu, bestimmt nicht! Niemand kann uns mit einer Fliegenklatsche erschlagen!“ „Auch wenn wir acht sind!“ Ergänzte Anders, „Du hast Deinen Freund Alies vergessen.“ Haakon schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn, „Wie konnt‘ ich nur; aber der ist ja nicht mehr im Internat! Der ist schon vogelfrei!“ Das Geplänkel machte, dass Tobias‘ Augen, also Kinto‘s Augen, zu strahlen begannen. Er murmelte „Danke, danke!“ Anders lachte nur, „Du brauchst uns nicht zu danken, wir können jede Verstärkung gebrauchen, wir gegen die ganze Schule!“

Zu Mittag saßen die fünf zusammen an einem Tisch in der Ecke. Einige Klassenkameraden von Haakon verfolgen jede Bewegung an ihrem Tisch neugierig. „Haakon ist schwul!“ lästerte der dicke Billy und kratzte sich herausfordernd zwischen den Beinen. „Schau nur wie er und die Kleinen die Köpfe zusammenstecken. Fehlt nur noch das er den Schwarzen auf die Wange küsst “ „Na und das obwohl sein Bruder Pfarrer ist!“ meinte Werner, der Anführer der Gruppe, ein hochgeschlossener Typ, dessen Kopf für den langen Körper zu klein war. „Liegt bestimmt in der Familie! Kaplan Carstens hat ja auch seinen Freund hierher geholt.“ „Komm, jetzt erzählst Du Mist! Du sagst das nur, weil die Herr Beck eine schlechte Note gegeben hat.“ meinte Jean, ein Weißblonder mit Stoppelhaaren. „Was glaubst Du wie oft ich als schwul bezeichnet wurde, nur weil ich mich Jean genannt und meine Haare lang getragen hab. He Süßer mit den langen Haaren, komm küss mich! Das war noch das harmloseste an das ich mich erinnere.“ „Quatsch, ich mag Schwulis einfach nicht, erst recht wenn sie sich an kleinere ranmachen. Ich geh mal rüber und stoß Haakon Bescheid!“ meinte Werner. „Lass mal, das mach ich schon.“ meinte der dicke Billy und drängte sich durch die Tischreihen zu den Fünfen vor. Willi hatte den festen Vorsatz gefasst, Haakon vor allen Schülern zu provozieren, denn er konnte ihn nicht leiden.

Die Fünf berieten gerade, wann der beste Abend wäre sich von Carlo und Paul in die Geschichte vom Pfeifer von Niklashausen einweihen zu lassen und um das mit dem Mitelalterfest am Tag der Schutzengel genauer zu besprechen, als der Dicke Willi sich hinter Haakon aufbaute. Er hörte gerade noch, wie Kinto vorschlug, „Ich spiel Querflöte, wenn ihr die Moritat singt und Haa….“ Da hatte sich der dicke Willi Haakon schon mit beiden Händen auf dessen Schultern gestützt und laut gefragt, damit es alle hören konnten „Bist wohl schwul, Haakon! Kannst Du‘s nicht bis abends aushalten und triffst Du dich schon zu Mittag mit Deinen Lustknaben!“ Haakon wollte aufspringen. Als er das nicht konnte, weil der Dicke Willi ihn auf den Sitz drückte, stieß er mit dem Ellbogen nach hinten und traf Willi genau in die Eier. Der heulte auf und wollte zurückspringen. Dabei stolperte er über das Bein, das Anders vorgestreckt hatte und stieß die Stühle am hinter ihm stehenden Tisch um. Dann knallte er mit voller Wucht mit seinem dicken Hintern auf den Boden und stieß vor Schreck einen schrillen Schrei aus. Durch den Krach und sein Geschrei wurden alle Schüler im Esssaal aufmerksam und drehten die Köpfe in die Richtung aus das Gebrüll kam.   Als der Dicke Billy aufzustehen versuchte und sich langsam hochhievte, erkannten ihn alle und begannen zu lachen. Willi schimpfte und flüchtete schnell zu seinen Freunden. Die lachten aber auch über sein Missgeschick und Willi zog getröpfelt und halblaut schimpfend ab.

Mit der geplanten Besprechung war es in dieser Mittagspause vorbei. Beim Auseinandergehen bestimmte Haakon, „Wir treffen uns Donnerstag am Abend, aber nicht zu spät. Ich werde Carlo dazu überreden, sich den Termin freizuhalten. Für Essen und Trinken sorgen wir schon.“ Dabei klopfte er Odo auf den fetten Po und lachte. „Es wird genug zum Essen geben. Odo braucht auf Garantie nicht verhungern.“

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Am Abend wartete Kinto schon ganz gespannt auf Odo. Hatte der vergessen, was sie am Frühstückstisch abgesprochen hatten oder hatte er plötzlich den Mut verloren? Er konnte sich nicht aufs Lesen konzentrieren. Die Unendliche Geschichte war ja spannend und er konnte sich gut in Bastian, also Bastian Balthasar Bux einfühlen. Er hatte zwar noch eine Mutter und sein Vater jagte ihm keine Angst ein aber in ein phantastisches Land reisen zu können, das war etwas, das unbedingt machen würde, wenn sich ihm die Möglichkeit böte. Aber gab‘s da nicht die Möglichkeit etwas zu erleben, was wirklich wäre und nicht nur in einen Phantasieland  angesiedelt wäre. Könnte er nicht mit Odo…..? Z. B. mit Odo nach Afrika reisen, jetzt wo er doch sein Kinto war? Vielleicht nicht jetzt sofort, aber später.

Er könnte jetzt schon von Odo lernen, wie die Menschen dort leben. Odo und er könnten die Spiele zusammen spielen, die der dort mit Kintu gespielt hatte. Die Jungen seines Alters hatten dort bestimmt Kühe oder Schafe oder Ziegen gehütet, Kälbchen und Zicklein vor den Angriff von Löwen oder Adler geschützt. Tobias lachte leise über sich selbst. Kühe gab‘s hier im Dorf, ja, und vielleicht auch Schafe und Ziegen aber Löwen und Adler? Die gab‘s in Deutschland nur im Zoo. Also! Zurück in die Wirklichkeit. Aber Odo kannte sicher noch andere Spiele, die sie hier machen könnten. Vor allem musste er, Tobias Kinne, seit gestern Kinto, schnell erwachsen werden. Er musste schleunigst so groß uns stark werden wie Odo. In der Spieglung der Fensterscheibe prüfte er seine Oberarmmuskeln, spannte sie an, einem nach den anderen. Viel kleiner wie Odo‘s. Er musste trainieren, üben! Gewichte hatte er keine hier. Bestimmt würde er stärker werden, wenn er mit Odo ringen würde, dann würden seine Muskeln bestimmt wachsen. Als ihm das einfiel, wurde ihm ganz heiß! Ringen mit Odo! Tolle Idee.

Seit gestern, seit er Kinto war, also nicht mehr oder nicht nur Kinne Tobias oder sogar Tobi, wie ihn seine Eltern nannten, war er ein Stück erwachsener geworden. Das fühlte er, wusste er! Natürlich nicht erwachsen was die Körpergröße anbelangte. Es wäre ja ein Wunder gewesen, wenn er über Nacht von 146 auf 186 gewachsen wäre. Aber er war jetzt erwachsen, er hatte einen Freund, ja hatte sogar vier Freunde. Er zählte nochmals im Kopf durch, also Odo, dann Madz, beide aus der gleichen Klasse, dann Anders, der schon die Quarta besuchte und Haakon, der war sogar Unterprimaner! Bestimmt würde auch noch den Bruder von Anders kennen lernen, Alies und, das traute fast nicht sich vorzustellen, Kaplan Carstens und Lehrer Beck. Was heißt kennen lernen, er kannte sie bisher nur als Lehrer, aber die andern hatten so von ihnen gesprochen, als wären sie Freunde, besonders Madz von Lehrer Beck.

Vom Fenster aus spähte zum Bolzplatz. Der war zwar durch Bäume ziemlich verdeckt, doch wenn er genau rüber schaute, konnte der Odo unter den Spielern ausmachen und manchmal hörte er auch Odo, Odo, Odo gib doch endlich ab, Du musst nicht alle Tore selbst schießen wollen. Dann hörte er Triumpfgeschrei. Odo und die Erstklässler hatten die Zweitklässler weggeputz, das heißt Odo hatte sie weggeputzt, das war so wahr, wie der Schnee weiß!

Dann endlich kam Odo, nass vom Schweiß, das linke Knie aufgeschlagen hinkte er ins Zimmer und warf sich aufs Bett. „Ich bin total fertig, total! Aber wir haben sie geschlagen, drei Bälle hab ich reingekriegt! Mensch bin ich ausgepumpt!“ Erschöpft schloss Odo die Augen. Kinto konnte nicht anders. Er setzte sich zu Odo aufs Bett und begann ihm mit dem Zeigefinger über das verletzte Knie zu streicheln,“Tut das weh? Willst Du‘s nicht verbinden!“ Odo schaute kurz auf, „Das Blut ist schon geronnen. Warum verbinden?“ Dann zog er Tobias zu sich runter, „Du musst auch mitspielen! Das ist toll!“ Als er sah, dass Tobias den Kopf schüttelte, „Kinto Du kannst das, Kintu konnte es auch. Wenn Du mitspielst und mir die Bälle gut vorlegst, gewinnen wird bestimmt noch höher!“ Im nächsten Augenblick setzte er auf, „Ich muss duschen, sonst lassen die mich nicht ins Speisezimmer zum Abendessen: Ich total stinke.“ „Bleib so!“ Tobias stieß Odo wieder auf die Kissen, „Ich, Kinto, mag Deinen Geruch, du riechst wie frischgebackener Kuchen“ „Kintu hat immer gesagt, wie frisch gekochter Hirsebrei!“ lachte Odo, riss er sich los und rannte los zum Duschen.

Nach dem Essen legte sich Odo aufs Bett, machte die Augen zu und war eingeschlafen, bevor Kinto noch zurück war. Der betrachtete enttäuscht seinen lang ausgestreckten neuen Freund. Er hatte sich doch vorgestellt, dass sie heute Abend  die Spiele spielen wollten,die Odo auch mit Kintu gespielt hatte. Leicht enttäuscht schüttelte er den Kopf und holte die Unendliche Geschichte wieder heraus, um stürzte sich in die Abenteuer von Bastian.

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Tobias wachte auf. Gerade träumte er noch er wäre in einen dunklen Loch von einem Raum mit schiefem Fußboden eingeschlossen, in das Licht nur durch ein schmales Fenster drang. Ein dünner Vorhang dämpfte das graue Licht auf dem grauen Feld vor dem Fenster. Dort war es so düster, das er die dort herumturnenden Jungen nur schemenhaft erkennen konnte.

Er hörte die Beiden leise sprechen, kichern, lachen. Tobias kniff die Augen zusammen und versuchte sie besser zu erkennen. Einer der beiden war groß und sehr dunkel, der andere, viel kleiner und hellhäutig. War der dunkle Odo und der andere, war er es, war er es selbst ,Kinto?. Das konnte doch gar nicht sein. Er war doch eingesperrt in den kleinen Raum mit dem schiefen Fußboden.

Tobias wachte auf. Er war in seinem Zimmer, also ihrem Zimmer, also Odo‘s und seinem Zimmer. Er schaute zu Odo. Der lag immer noch so da, wie er eingeschlafen war. Er sah Odo und sein Traum war plötzlich ausgelöscht. Was hatte er nur geträumt? Irgend etwas von einen kleinen, schäbigen Raum mit schrägem Fußboden. Plötzlich war ihm kalt. Er zitterte, er musste sich aufwärmen.

Tobias schlüpfte aus dem Bett. In drei Schritten war er bei Odos Bett, schlüpfte hinter ihn unter die Decke und drückte sich fest an seinen Rücken. Odo streckte sich, gähnte und drehte sich plötzlich zu ihm herum und murmelte im Halbschlaf „Kintu, oh mein Kintu!“ Erst jetzt war er voll auf. „Ich habe gerade von Kintu geträumt. Ich hab geträumt,dass wir herumbalgen, richtig miteinander raufen, wie zwei Katzen. Aber etwas war komisch.“ Odo überlegte und sagte dann, „Im Traum war Kintu nicht dunkelhäutig, ich hab‘s genau geseh‘n, als ich ihn zu Boden gedrückt hab. Seine Haut war hell und er war auch viel kleiner als ich, viel schwächer. Ich konnt ihn mit einem Griff auf den Rücken auf den zu Boden werfen.“ Odo setzte sich steil im Bett auf, beugte sich über Tobias und drückte ihn fest auf die Matratze, wie er es bei einem Ringkampf gemacht hätte. Er kniete sich über Tobias und schaute ihm in die Augen, „Das warst Du Kinto mit dem ich mich gebalgt hab, nicht Kintu. Ich hab nicht von Kintu geträumt, sondern von Dir.“ Er schaute Tobias noch tiefer in die Augen. „Jetzt bist Du wirklich Kintu, Kinto hat‘s erlaubt. Jetzt bist Du nicht nur Kinto, Du bis Kintu und Kinto zugleich. Ihr seid jetzt eins.“ Auf einmal fielen Tränen aus seinen Augen. Sie fielen auf Tobias, fielen in sein Gesicht und dann beugte sich Odo zu Tobias hinunter und küsste vorsichtig die Tränen weg.

 

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