KeYNamM ~ König ohne Namen ~ German

Kapitel 11: König Gaya's Hut

Zwei Tage nach dem Ausbruch aus dem Straflager überschritten KeYNamM, Ikken und ihre drei Freunde die Grenze zwischen Imperium und Grenzland. Die kurze Strecke durch das Bergland bis zum ersten Marktflecken des Grenzlands hatte viel mehr Zeit in Anspruch genommen, als erwartet, da Amaynu meist getragen werden musste.

Während Amaynu, Ochuko und Idir in einem verlassenen Schuppen am Dorfrand Schutz suchten, schlichen sich KeYNamM und Ikken zum Soukh, der gerade geschlossen wurde. Gleich beim Eingang hörten sie eine unzufriedene Händlerin den Tag verfluchen, „Kein Geschäft, den ganzen Tag nicht! Kein einziges Hemd verkauft, nicht eins! Wenn das Geschäft morgen nicht besser läuft, kann ich gleich betteln gehen!" Sie schnaufte empört und warf ein dickes Bündel Altkleider auf ihren Karren. Als KeYNamM näher trat und anfing, „Vielleicht ..." schnauzte ihn die bucklige Alte empört an, „Sogar ihr Bauern kauft heutzutage nur neue Sachen, dabei sind meine gebrauchten so gut wie neu aber schon eingetragen und weich. Keines meiner Hemden scheuert eure Haut am Hals wund wie ein neues!"

KeYNamM versucht erneut mit ihr ins Geschäft zu kommen, diesmal aber mit, „Bestimmt kommen wir ins Geschäft, gute Frau. Ich brauch eines, das einem Kerl passt, einem Kerl wie eine Riese. Einem Kerl, der weiche Hemden liebt, einem, der gerade sein letztes Hemd an die Soldaten verspielt hat und jetzt Angst hat, dass ihn sein Weib verprügelt, wenn er heimkommt." Er schaute die bucklige Händlerin mit zerknirschter Miene an. „Welche Frau liebt es schon, wenn ihr Göttergatte nicht nur sein Geld, sondern auch sein Hemd verspielt hat!"

„Den würde ich auch verprügeln, so einen Nichtsnutz! Und du willst ihm helfen? Na dann los! Aber nur weil du es bist!" Sie zog das Bündel Altkleider wieder vom Karren „Hier such selber, aber jedes Hemd kostet dich drei kleine Kristalle!"

Im Bündel fand KeYNamM fünf Hemden und alle verschieden groß. „Viel zu teuer, Alte. Ich nehm alle! Hier hast du zwei dicke und zwei kleine Kristalle, mehr zahl ich nicht. Nimm das Geld oder geh ohne nach Hause!"

KeYNamM hatte die Alte richtig eingeschätzt. Sie warf ihm die Hemden zu und begann dann Ikken von Kopf bis Fuß zu mustern. Plötzlich strahlte ihr Gesicht wie die Sonne, sie lächelte Ikken an ging zu ihrem Karren und kramte eine Weile fieberhaft zwischen den alten Kleidungsstücken. Endlich hatte sie gefunden, was sie suchte, eine alte, hohe Kappe. Sie stellte sich freudestrahlend vor Ikken auf, „Ich weiß Knabe, du magst diesen alten, roten Tukumbut. Du wärst kein Junge, wenn du dir darin nicht wie der König Gaya selbst vorkommen würdest!" Dann aber schwieg sie plötzlich. Sie richtete sich auf, ihr krummer Rücken wurde gerade und plötzlich überragte sie den größten Mann auf dem Markt um einen Kopf. Sie sprach laut, so dass es alle hören mussten, die noch auf dem Markt waren „Diesen Hut habe ich von meiner Urahne bekommen und die hatte ihn von ihrer Urahne und die wieder von ihrer. Dieser rote Tukumbut ist durch die Zeiten gewandert, von einer weisen Frau zur anderen. Ja, ich sage euch, diesen Hut hat König Gaya vor langer, langer Zeit einer weisen Frau mit den Worten geschenkt. 'Gibt meinen Hut dem, der die Macht hat, die Klans der Wüstensöhne zu vereinen, wie ich sie geeint habe. Du oder eine deiner Nachkommen werdet den zu Gesicht bekommen, der es ist, der zu meinem Nachfolger auserwählt ist. Bis er gefunden ist, werdet ihr und eure Nachkommen ruhelos über das Land irren, durch die Wüsten, die Flussebenen, die Berge. Erst wenn die Letzte von Euch den findet, dem dieser Hut gebührt, werdet ihr Frieden finden.'" Erschöpft fiel ihr Körper plötzlich zusammen und sie war wieder die alte, bucklige Händlerin, aber ihre Augen strahlten wie die eines jungen Mädchens. Sie setzte Ikken den roten Tukumbut auf den Kopf, „Ich habe Glück, ich die kinderlose Ultafa habe ihn gefunden, den dem Gaya's Hut gebührt!"

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 Als Ikken zurück in den baufälligen Schuppen kam, zeigte er Amaynu, Ochuko und Idir den Hut und erzählte ihnen von der Begegnung. Weder der Schmuggler aus dem Süden, noch der Bauer aus dem Draatal und auch nicht KeYNamM hatten von dieser Weissagung jemals gehört. Nur Amaynu, der Goldschmied des Wüstenkönigs, erinnerte sich, dass seine Großmutter ihm als Kind von dem wundersamen Hut erzählt hatte. Aber sie hatte immer betont, dass noch nie jemand den Hut gesehen hat und er bestimmt schon zu Staub zerfallen sei. Er überlegte, ob er den anderen von der Sage erzählen sollte, beschloss jedoch es nicht zu tun, einmal, da er die Worte für eine der Geschichten hielt, wie sie Lagerfeuern oft erzählt werden, und zum anderen, weil er Ikken keine Flausen in den Kopf setzen wollte.

Die alten Kleider waren aber willkommen. Noch bevor Amaynu, Idir und Ochuko sich im baufälligen Unterstand am Stadtrand schlafen legten, schlüpften sie in die neuerworbenen Hemden. Amaynu war selbst das kleinste Hemd noch zu groß und an Ochuko spannte sogar das größte, nur Idir fand eines, das ihm genau passte. Aber das war nicht so wichtig, viel wichtiger war, dass sie die Hemden mit dem Zeichen des Imperators wegwerfen konnten. Und das taten sie. Sie schnürten ein Bündel daraus, beschwerten es mit Steinbrocken und versenkten es in der nächsten Jauchegrube.

Am nächsten Morgen ging Ochuko mit Ikken an der Hand in den Soukh, der dunkelhäutige Händler in seinem neuen alten Hemd und Ikken mit der hohen roten Kappe auf dem Kopf. Sie steuerten sofort auf den Teil des Soukhs zu, in dem Esel feilgeboten wurde. Ikken wurde bei dem durchdringenden Trompeten der Esel selbst ganz aufgeregt. Er kannte das vom Soukh in Tinghir. „Ochuko, die Hengste riechen, dass eine Eselstute brünstig ist und jeder will sie decken! Komm, das will ich sehen!" Der dunkelhäutige Händler grinste, „Das ist noch nichts für dich, Kleiner!" und schob ihm die Kappe über die Augen. Ikken schob sie wieder hoch, boxte Ochuko in die Seite und versuchte ihn dorthin zerren, wo ein großer, fast weißer, Eselhengst eine kleine Stute bedrängte. Ihr Besitzer schlug mit einem Knüppel auf das Tier ein. Der starrköpfige Hengst hatte sich jedoch im Mähnenkamm der Stute verbissen und ließ nicht los. Der Hengst gewann und ritt auf. Als Ikken und Ochuko endlich dort angekommen waren, stand die kleine Stute schon mit gespreizten Hinterbeinen und durchgedrückten Rücken da und spritze Harn in den Sand. Ikken war enttäuscht. Er schaute Ochuko vorwurfsvoll an, besonders da der Schwanz des Hengstes immer mehr schrumpfte bis er ganz in der Vorhaut verschwunden war. „Warum bist du auch so langsam!"

Ikken schmollte nur, aber der Bauer, dem die hübsche hellgraue Eselstute gehörte, war richtig empört, „Dieses Biest! Dieser Teufel hat Tadefi vergewaltigt. Meine süße Tadefi, mein liebstes Eselchen, mit der ich so viel Spaß hatte! Wer ersetzt mir jetzt den Schaden?"

„He Bauer, du heulst ja gerade, als wäre deine Tochter entjungfert worden!", spottete Ochuko, „An wenn wolltest du die Süße denn verschachern? An die Soldaten des Imperators? Deine Tadefi ist zwar jetzt keine Jungfer mehr, aber wir wollen sie zum Reiten und nicht zum Rammeln!" Als der Bauer ihn böse anblickte, grinste er nur „Ich biet dir die dafür." Dabei schüttelte er zwei große Kristalle aus seinem Beutel und hielt sie ihm hin. Das versöhnte den Mann und er schlug ein. Noch im Fortgehen schmollte er jedoch und schimpfte mit dem Besitzer des Hengstes, „Wenn ich deinen Teufelshengst erwische, dann kastriere ich ihn!"

Ochuko setze Ikken vor sich auf die unwillige Tadefi und versuchte sie mit Schmeicheleien zu überreden, den Weg zum Tor des Soukh einzuschlagen. Als sie starrköpfig stehenblieb, stieg er ab und begann sie am Strick vorwärts zu zerren. Ochuko wollte so schnell als möglich den Soukh verlassen, denn die Unruhe, die sich plötzlich unter den Händlern und Soukhbesuchern ausbreitete, machte ihn misstrauisch.

Der Grund waren Soldaten, die sich mit den Marktwächtern durch die Menge drängten. Während die Wächter Standgebühren bei den Händlern eintrieben, begannen die Soldaten Marktbesucher zu kontrollieren. Wer ihnen auffiel musste stehenbleiben und wurde gefilzt. Zu ihrem Ziel gehörte natürlich der lange Schwarze und Ikken mit seinem roten Tukumbut. „He Langer, dich haben wir noch nie hier gesehen! Du siehst aus wie ein entlaufener Verbrecher, schwarz, groß, fett! Ich glaub, der Imperator will dich wiedersehen!"

Beide erschraken. Ikken fasste sich schneller als Ochuko. Er richte sich kerzengerade auf, blickte den jungen Offizier von seinem Sitz auf dem Eselsrücken von Oben herab an und sage mit seiner hellen Jungenstimme: „Du wagst es den König Gaya aufzuhalten, ihn und seinen treuen Diener? Erkennst DU mich nicht an meinem königlichen Hut!" Er deutete auf seine Kappe und fügte hinzu, „Ich lass dich gleich einen Kopf kürzer machen, Offizier! Lass uns durch!"

Die Soldaten, die sie umstanden, brachen in Gelächter aus und der junge Offizier fühlte sich gezwungen, mitzulachen. „Geh Deines Weges hoher Herr! König Gaya, Du kannst Deine Haremsfrauen doch nicht warten lassen!" Mit diesen Worten griff er sich zwischen die Beine und gab ihnen den Weg frei.

KeYNamM, der nicht weit davon stand, hatte schon eingreifen wollen. Jetzt jedoch war er froh, dass der Zwischenfall so glimpflich ausgegangen war. Er beschloss sofort noch am Nachmittag ins Unland aufzubrechen.

Als sich die Marktbesucher und Händler am Nachmittag auf den Heimweg machten, mischten sich die fünf Reisenden unter die heimwärtsziehende Menge. Sie blieben aber nicht zusammen, sondern trennten sich in zwei Gruppen, um nicht aufzufallen. Sie hatten damit Recht, denn die Soldaten hielten an jeder Kreuzung und Abzweigung nach geflüchteten Strafgefangenen Ausschau. Amaynu auf dem Eselchen und Idir bildeten die eine, Ikken, der zwischen KeYNamM und Ochuko ging, die andere Gruppe. Sie gelangten unkontrolliert ins Unland und bogen nach Einbruch der Dunkelheit vom breiten Hauptweg ab, der entlang der Grenze zwischen Grenzland und Unland führte. Im Schein der Sterne schlugen sie einen schmalen, zugewachsenen Pfad ein, der geradewegs durchs Unland zum Draa führte.

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Zuerst begrüßte sie Hundegebell, als nächstes beantwortete Tadefi, die junge Stute, aufgeregt das asthmatische Geröchel von Ennand's Esel, endlich klang das freudige Jauchzen von Hiyya durch die Nacht, „Ikken, Ikken!" Der antwortete „Hiyya! Hiyya, ich komme!" Ihn hielt es nicht mehr bei den anderen. Im Dunkeln stolperte er den finsteren Hohlweg durch den Galeriewald herunter und traf auf Ennand's älteste Tochter gerade als sie in den steil ansteigenden Weg einbogen. Die beiden fielen sich in die Arme. „Du warst so lang weg! Wir haben Angst gehabt um dich und KeYNamM! Ihr wart so lange weg und die Soldaten des Imperators sind fast täglich bei uns gewesen und haben nach euch gesucht!"

Ennand, der gerade kam, umarmte Ikken, „Die haben nicht euch gesucht! Keine Angst!" Als er KeYNamM sah, ließ er den Jungen los und stürmte zu ihm „Mensch Bruder!" Die beiden fielen sich in die Arme, „Mensch, Amestan!" Er holte tief Luft, „Erst dachte ich, die suchen dich! Aber dann erzählten sie, dass die Strafgefangenen ausgebrochen sind, die Strafgefangenen der Kristallmine! Da war ich beruhigt. Kommt, Ayri und die Zwillinge warten und Aylal!" Hiyya rief dazwischen, „Aylal geht es gut, aber er hat jeden Morgen und Abend nach euch gefragt! Ihr werdet staunen. In den paar Tagen ist er gewachsen wie Stangenbohnen im Frühling und dicker geworden. Er, Anirt und Amimt sind unzertrennlich!" Als Hiyya Ikken am Arm nahm und in die Dunkelheit zog, rief Ennand ihm nach, „Ich bin froh, dass du wieder da bist Ikken, was glaubst du, was wir erdulden musste. Hiyya war unerträglich ohne dich!"

Erst jetzt bemerkte Ennand Amaynu, der auf den Esel ritt und Ochuko und Idir. „Deine Freunde?", fragte er.

„Ja! Idir kennst du. Die anderen beiden sind Amaynu, der Goldschmied des Amenokals, und Ochuko, der Händler, der dir alles verschaffen kann, was es südlich und nördlich des Draa gibt!" Dann machte er aber eine Pause, „Wir können aber nicht bleiben, weil uns die Soldaten des Imperiums suchen. Wir stehen auf ihrer Liste, die drei, weil sie aus dem Straflager entflohen sind und mich und Ikken, weil wir den Zaun des Straflagers niedergebrannt haben!"

Beim Nachtmahl, bei dem Aylal mit KeYNamM kuschelte und Hiyya Ikken's Hand nicht los ließ, wurde besprochen, was in den letzten Tagen Aufregendes geschehen war. Die wichtigste Information war, „Die suchen nicht nur überall nach den Geflohenen, nein, auf dem Markt wurde erzählt, dass der Imperator gestorben ist und Gouverneur Gwasila den Raub der Kristalle rächen will. Jetzt wirbt der Gouverneur im ganzen Land junge Männer an, um eine Expeditionsarmee aufzustellen, mit der er den Amenokal angreifen will."

KeYNamM stöhnte enttäuscht auf. „Dann haben wir keine Stunde Zeit. Amaynu, Ochuko und Idir müssen in Sicherheit gebracht werden und dich Ennand und deine Familie, darf ich auch nicht gefährden. Wir brechen morgen in aller Früh auf." Dann wandte er sich an Aylal „Dich muss ich auch mitnehmen. Du und Ikken, ihr müsst mitkommen, hier ist es zu gefährlich, nicht nur für euch beide, sondern für Ennand und seine ganze Familie."

„Du darfst Ikken nicht mitnehmen!", protestierte Hiyya, „Bitte lass ihn hier. Bei uns ist er sicher. Bitte Ikken, du musst bei mir bleiben. Ich verteidige dich! Amestan wirklich, ich verteidige Ikken, ich schwöre es!" Ihre Mutter versuchte sie zu trösten, aber sie heulte nur verzweifelt, rannte dann aus dem Haus und versteckte sich im Schuppen.

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