KeYNamM ~ König ohne Namen ~ German

Kapitel 21: Wiedersehen mit Tinghir

Erschöpft hing Ikken vornübergebeugt im Sattel. Der Schaukelschritt des trottenden Pferdes drehte ihm fast den Magen um. Mühsam drehte er den Kopf und blickte über die Schulter zu Tanan, der hinter ihm ritt. Seinem neuen Freund schien es nicht besser zu gehen. Auch Tanan war der Kopf auf die Brust gesunken und er schien erschöpft zu schlafen. KeYNamM, der an der Spitze der Drei über die Steppe zwischen dem Galeriewald am Draa und dem Waldstreifen, der die Grenze zwischen Unland und Grenzland bildete, ritt, war schon zwischen den Bäumen verschwunden. Der hat es jetzt gut im Schatten, dachte Ikken, während uns noch die Mittagssonne den Rücken verbrennt.

Noch vor dem Morgengrauen hatte KeYNamM Ikken, der eingeklemmt zwischen Hiyya und Tanan geschlafen hatte, aus den Träumen gerissen. Jetzt konnte sich Ikken nicht mehr an den Traum erinnern. Aber er war schön, das wusste er. Bestimmt hatte er von Yufayyur geträumt! Das nahm er einfach an, denn sonst wäre er bestimmt nicht so hart gewesen.

Da die Drei aus Platzmangel Löffelchen gemacht hatten, waren Hiyya und Tanan auch aus dem Schlaf gerissen worden, als KeYNamM Ikken wachrüttelte. „Wir müssen nach Tinghir, kleiner König Gaya! Wir reiten sofort, die Pferde sind bereit!" Ikken protestiere, aber KeYNamM blieb ungerührt „Ich brauche dich dort! Ich brauche deine Hilfe! Du kennst dich dort aus!" und zog ihn aus dem Bett.

Als Tanan das Wort Tinghir hörte, begann er sofort zu betteln, „Nimm mich mit Amestan! Bitte Amestan, ich muss in die Stadt - ich muss nach Tinghir - dort bin ich geboren - dort lebt meine Mutter!" Er hatte diese Bitte ohne einmal Atem zu holen hervorgestoßen und als KeYNamM sie ihm abschlug, begann er zu betteln. „Nimm mich mit! Bitte Amestan! Bitte! Ich muss hin! Ich habe meine Mutter seit über zwölf Jahren nicht gesehen! Seit ich drei Jahre alt war!" Als auch diese Begründung den Amestan nicht überzeugte, versuchte er ihm damit zu überreden, „Meine Mutter hat eine kleine Herberge in Tinghir, dort können wir wohnen! Sie heißt „Zum Durstigen Qurbac!" - „Zum Durstigen Kamel!" Dort wird es dir gefallen! Wirklich! Ich schwöre es!"

Als Ennand die Aussagen Tanan's bestätigte und dann noch hinzufügte, „Seine Mutter Tirizi wurde mit Zwölf von den Häschern des Imperators entführt. Erst musste sie in der Hauptstadt leben und als sie mit Tanan schwanger wurde, durfte sie nach Tinghir ziehen und die Herberge aufmachen." Dann seufzte KeYNamM's Freund tief, „Das durfte sie aber nur, nachdem sie geschworen hatte, ihren kleinen Sohn zu ihren Eltern im Draatal zu geben, bevor er drei Jahre alt war. Jetzt sind seine Großeltern tot. Tanan lebt seither bei seinen Verwandten, mal da mal dort, mal besser mal schlechter!"

Ikken kannte die Herberge „Zum Durstigen Kamel". Sie hatte keinen besonders guten Ruf, wie alle die Herbergen, die von ehemaligen Freudenmädchen geführt wurden. Unter diesen aber hatte das Durstige Kamel den besten. Auch Tirizi kannte Ikken und sie machte ihrem Namen „Hell wie der Mond" alle Ehre. Ihr Ruf bei den fahrenden Händlern und Bauern, die zum Markt kamen, war gut und zu Waisenjungen, wie ihm und seinem Bruder Aylal, war sie immer großzügig gewesen. Tirizi hatte ein großes Herz und für ihn stand jetzt schon fest, Tanan hatte das gute Herz von seiner Mutter geerbt. Woher hatte er aber die kecke Art, vielleicht vom Vater?

Ikken konnte vorlaute Jungen eigentlich nicht leiden. Aber Tanan hatte er ins Herz geschlossen, wenn auch vom ersten Augenblick an, aber seit ihrem Zusammensein diese Nacht auf jeden Fall. War es wegen seiner Art oder war es, weil Yufayyur sich solch einen Lehrmeister für Ikken gewünscht hatte? Wer weiß? Von Tanan konnte er allerhand lernen, das stand jetzt schon fest, zumindest was Mädchen anging. Ikken war daher mit Tanan als Begleiter einverstanden. Tanan's Begleitung erleichterte ihm auch den Abschied von Hiyya. Aber etwas machte ihm Sorgen. KeYNamM hat ihm immer noch nicht verraten, warum er so dringend nach Tinghir musste.

Als sie endlich den Waldstreifen durchquert hatten, war es schon früher Nachmittag und die heißeste Zeit des Tages, viel zu heiß um weiterzureiten. Also legten sie eine Rast im Schatten eines Argahnbaumes ein. Vom Rastplatz am Waldrand konnten sie die Ebene bis hin zu den Bergen überblicken. Ikken erinnerte sich. Im Norden lag die Kristallmine, dann kamen die leicht bewaldeten Hänge des Jbel Sarhro und weiter im Süden musste Tinghir liegen. Während Ikken noch versuchte die ersten Anzeichen seiner Geburtsstadt in der flimmernden Luft zu entdecken, hatten KeYNamM und Tanan schon die Pferde gefüttert und getränkt. Jetzt stärkten sich die beiden im Baumschatten mit Fladenbrot und den Bratenresten des vergangenen Abends.

Ikken hatte auch Hunger, aber keine Lust zu essen. Er trank nur Wasser, um seinen Durst zu löschen. Müde vom Ritt von der Quelle der Meryem zu Ennand's Hof am Tag zuvor, der anstrengenden Nacht mit Hiyya und Tanan und dem langen Ritt am heutigen Vormittag schlief er sofort ein. Als Tanan seinen neuen Freund schlafen sah, fielen ihm auch die Augen zu. Er kuschelte sich an Ikken, legte seinen Kopf auf dessen Bauch und schlief ebenfalls sofort ein. KeYNamM setzte sich neben den Beiden nieder und lehnte sich an den Stamm des Argahnbaumes und schloss die Augen.

Als der Amestan am Spätnachmittag aufwachte, hatte er zum ersten Mal Zeit Tanan in Ruhe anzusehen und mit Ikken zu vergleichen. Er schätzte Tanan nur ein paar Fingerbreit kleiner als Ikken. Er war jedoch kräftiger und bulliger als sein Sohn, eben ein Junge vom Land. Tanan hatte ein rundliches Gesicht, das von dunklen Kraushaaren eingerahmt war und das strahlte selbst im Schlaf noch Kraft und Zuversicht aus.

KeYNamM fühlte sich zu Tanan hingezogen, aber auf völlig andere Art als zu Ikken und Aylal. Schon als er die beiden zum ersten Mal im Quellkeller von Tinghir sah, dachte er, so müssen meine Söhne sein. Mit Tanan war das anders. Er fühlte sich zu ihm hingezogen, hegte jedoch keine väterlichen Gefühle für ihn. Als sich eine Fliege auf Tanan's Nase setzte, versuchte KeYNamM sie mit der Hand wegzuscheuchen. Der schwache Luftzug weckte den Jungen auf. Er öffnete langsam die Augen. Die Iris war dunkel, fast so schwarz wie die Pupille. 'Die Öffnung zu Tanan's Seele ist dunkel! Was steckt dahinter?', dachte er.

Tanan fing KeYNamM's Hand noch in der Luft ab, zog sie zum Gesicht und streichelte damit seine Wange. „Magst du mich Amestan? Ich mag dich! Ich mag dich, weil DU du bist und Ikken dein Sohn." Dann richtete er seine dunklen Augen auf KeYNamM, „Amestan, nur du weißt, was du in Tinghir willst. Du musst es uns nicht sagen, weder mir und noch Ikken. Wir helfen dir! Wir helfen dir immer!"

Ikken war inzwischen auch aufgewacht. Noch im Liegen wollte er wissen, „Warum sollen wir dich nach Tinghir begleiten? Du hast bisher immer gesagt, das sei zu gefährlich für uns, für Aylal, für mich und dich! Der Gouverneur sucht uns immer noch und erst recht wird er uns suchen, weil sein Feldzug gegen die Wüstensöhne unseretwegen gescheitert ist!"

KeYNamM zögerte und stellte dann eine Gegenfrage, „Hast du deinen roten Hut mit, den Tukumbut, der einst König Gaya gehörte?" Als Ikken nickte und entgegnete „Den habe ich immer dabei!", fuhr der Amestan fort, „Ein König verteidigt sein Volk, er hat keine Angst, nicht einmal vor dem stärksten Feind. An der Seite Yufayyur hattest du keine Angst, wovor solltest du jetzt Angst haben?"

Als er Ikken so eingeschworen hatte, legte er die Gründe für das Vorhaben dar und entwickelte einen Plan. „Wenn wir den Gouverneur nicht unschädlich machen, dann geht das Morden in Draatal weiter und nicht nur im Draatal, sondern auch im Grenzland und in den Bergen. Wir müssen ihn unschädlich machen, damit die Söldner nach Hause zurückkehren können. Dann wird ein neuer Gouverneur die entflohenen Mörder fangen und zur Kristallmine zurückbringen." Nun sah er seinen Sohn fest in die Augen, „Du Ikken kennst die Stadt wie kein anderer. Du hast gezeigt, dass du mutig bist und jemanden befreien kannst, den der Gouverneur für den Tod bestimmt hat. Außerdem weiß ich, dass du deinen Vater rächen willst und alle Unschuldigen, die der Gouverneur ermorden ließ. Zusammen mit dir und mit Tanan's Hilfe werden wir den Gouverneur besiegen."

Beide, Ikken und Tanan schluckten vor Überraschung. Tanan fasste sich als erster und wollte wissen, „Was ist meine Aufgabe dabei?"

„Du kannst uns helfen und vielleicht auch deine Mutter. In der Herberge erfährt sie bestimmt alles was in der Stadt geschieht und sie wird zornig werden, wenn sie sieht, dass sie den besten Sohn der Welt nicht hatte heranwachsen sehen."

Tanan strahlte, „der beste Sohn der Welt", so hatte ihn noch nie jemand genannt. Doch dann wurde er ernst und verbeugte sich vor Ikken, „Ich wusste nicht, dass du der Nachfolger des großen Gaya bist, des größten Königs der Wüstensöhne." Er zögerte, „Vergib mir, ich habe dich für einen jungen Mann gehalten wie mich." Als ihn Ikken bei der Schulter nahm und ihn aufrichtete, stammelte Tanan, „Besonders was ich gestern im Bett mit dir gemacht habe bereue ich. Bitte verzeih mir mein Prinz!"

Jetzt war es an der Zeit für Ikken laut zu lachen, „Ich kann dir nicht verzeihen, solang ich mich nicht dafür gerächt habe." Dann grinste er übers ganze Gesicht, „Warte nur bis wir alleine sind, Tanan, dann wird Prinz Gaya ganz fürchterlich Rache nehmen!"

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Am Spätnachmittag des nächsten Tages sahen sie endlich die Stadtmauern von Tinghir in der Ferne. Das „endlich" galt für beide Jungen, sowohl für Ikken als auch für Tanan, doch aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Ikken war glücklich, bald wieder durch seine Stadt reiten und seine alten Freunde wiedersehen zu können. Ihm war jedoch bewusst, dass dies erst dann möglich sein würde, wenn ihr Vorhaben geglückt war.

Tanan war gespannt und aufgeregt. Er sehnte sich nach seiner Mutter, konnte sich aber kaum an sie erinnern. „Wird meine Mutter glücklich sein, wenn ich plötzlich vor ihr stehe?", fragte er Ikken, „Wird sie mich überhaupt erkennen. Damals war ich klein und jetzt? Will sie mich überhaupt sehen?" Diese Gedanken ließ Tanan nicht los. „Überhaupt! Weiß sie wie ich aussehe? Die hält mich bestimmt für einen Fremden! Vielleicht denkt sie sogar ich bin noch ein kleiner Junge!", er seufzte, „Aber jetzt bin ich groß, wahrscheinlich größer als sie!"

Tanan wiederholte seine Zweifel immer und immer wieder, bis KeYNamM ihn beruhigte. „Nimm es wie es kommt! Aber ich wette, sie wird glücklich sein, dich endlich zu sehen. Wenn sie dich nicht am Aussehen erkennt, dann bestimmt an deinem Geruch. Mütter vergessen nie wie ihre Kinder duften! Sie wird dich in den Arm nehmen und niemals mehr fortlassen wollen!"

Dieser letzte Gedanke wiederum gefiel Ikken nicht all zu sehr. Er wollte nicht schon wieder einen Freund verlieren und außerdem, wie konnte er sich „rächen", wenn Tanan von Tirizi ganz in Beschlag genommen würde. Als er sich im Weiterreiten ausmalte, wie er sich an Tanan rächen wollte, wurde er ganz zappelig vor Ungeduld.

Endlich tauchte die Stadtmauer in der Ferne auf und Ikken jubelte „ Jetzt Tanan, schau! Die Stadtmauer, dort!", und er deutete aufgeregt auf die Häuser die sich an den Berghang schmiegte, „Dort Tanan! Heute Abend weißt du mehr!"

Als sie an der Stadt angekommen waren, wollte KeYNamM zum Stadttor abbiegen, aber Ikken protestierte. "Zuerst müssen wir nachsehen, ob mein Versteck in der Stadtmauer noch existiert. Durch das Versteck können wir im Notfall ungesehen aus der Stadt gelangen. Hoffentlich ist der Zugang von der Stadt her nicht vollständig zugeschüttet. Muhme's Hütte davor soll doch abgebrannt sein!" Auf Tanan's Nachfrage erklärte er ihm das Geheimnis seines Verstecks und versicherte ihm. „Wenn unser Vorhaben schiefgeht, dann können wir durch den Gang in der Mauer aus der Stadt flüchten. Das haben wir schon einmal gemacht, KeYNamM, Aylal und ich."

Gemeinsam mit Tanan räumte Ikken den Reisighaufen vor dem Eingang ins Versteck an der Stadtmauer weg. Dabei scheuchten sie Vögel aus ihren Nestern, die in Ikken's Abwesenheit die Reisighaufen in Besitz genommen hatten. „Ein gutes Zeichen!", bemerkte KeYNamM, der aufpasste, dass niemand die Aktivität der beiden bemerkte. Auch der enge Durchgang zur Wohnkammer war noch offen. Ikken kroch als erster in den dunklen Gang, der zur Kammer führte, gefolgt von Tanan. An der Klappe zur Wohnkammer hielt er einen Augenblick inne und lauschte auf Geräusche vom Soukh. Nichts war zu hören, nur das Schimpfen der Spatzen vor der Stadtmauer, nichts, als das leise Atmen von Tanan, der inzwischen zu ihm aufgeschlossen hatte.

Für Tanan war dieser Ausflug ins Dunkle keine ernste Sache, sondern ein Abenteuerspiel. Als er in dem dunklen Schlauch aus Versehen mit dem Kopf auf Ikken's hochgereckten Po stieß, stecke er schnell seine Nase in die Ritze zwischen dessen Pobacken, „Iii Ikken, hier riecht es seltsam. Hast du deinen Po seit gestern nicht gewaschen?" Als Ikken ihn „Spinner!" nannte, kicherte Tanan, „Aber ich mag den Geruch! Ich kann nicht genug davon kriegen!" und er begann vernehmlich an Ikken's Pospalte zu schnuppern. Tanan's Bemerkung löste Ikken's Spannung. Er wiederholte, „Spinner!" und stieß dann die Klappe zur Wohnkammer auf.

Durch einen schmalen Spalt nahe der Decke fiel Licht in Ikken's ehemalige Wohnkammer. Früher war sie nur durch einen Vorhang hinter einem Regal vom Verkaufsstand der Muhme abgetrennt gewesen. Jetzt war dieser Durchgang mit Bretten unordentlich zugenagelt und Licht, dass durch Spalten zwischen den Brettern fiel, tauchte den Raum in Dämmerlicht.

In der Wohnkammer hatte sich nichts verändert. Auf dem Schlafplatz lagen noch die unordentlich hingeworfenen Decken, genauso wie sie Ikken und Aylal bei der Flucht zurückgelassen hatten. Auf den Boarden an der Wand standen noch die verschlossenen Behälter mit Vorräten. Als er einen öffnete, roch das Gewürz darin noch so frisch wie am ersten Tag.

Alles war so wie Ikken den Raum verlassen hatte. Nur die Laterne fehlte. Aber die hatten sie ja bei der Flucht mitgenommen, erinnerte er sich jetzt. Ikken setzte sich einen Moment aufs Bett und erinnerte sich an die Jahre, die er hier mit Aylal verbracht hatte. Dann versuchten er und Tanan die Bretter, die den Eingang versperrten, zu lockern. Vergebens. Wahrscheinlich lag noch der Brandschutt vor dem Eingang.

Sie krochen durch den Gang zurück zum Ausgang in der Stadtmauer. Vom Ausgang signalisierte Ikken KeYNamM, der in einiger Entfernung Wache hielt, dass in der Wohnkammer alles in Ordnung sei. Als sie vor der Stadtmauer angekommen waren, räumten Ikken und Tanan das Reisig wieder sorgfältig vor das Loch in der Mauer. Anschließend ritten sie gemeinsam mit dem Amestan zum Südtor der Stadt.

Alle drei hatten sich wie Bauern aus dem Grenzland gekleidet und fielen daher auf dem gesamten Weg vom Draa zur Stadt Niemandem besonders auf. Nur die kleinen schnellen Pferde hätten Verdacht erregen können, da Bauern solche grazilen Tiere gewöhnlich nicht besaßen. Auch jetzt hatten sie Glück. In der Hitze des Spätnachmittags hatten sich die müden Torwächter in die Kühle des Wachhauses zurückgezogen und waren eingenickt. Nicht einer bemerkte, dass drei Fremde durch das Tor in die Stadt ritten. Ikken, der wusste, dass die Herberge „Zum Durstigen Kamel" in der Nähe des Westtors lag, ritt den anderen durch enge, glutheiße und daher fast leere Gassen voraus.

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Das Tor der Herberge „Zum Durstigen Kamel" stand einen Spalt breit offen. KeYNamM drückt es auf und die drei Besucher ritten vorsichtig in den viereckigen Innenhof. Die Herberge war ähnlich wie eine Karawanserei gebaut. Links war das Wohnhaus mit der großen Wirtsstube, an die sich die Wohnräume von Tirizi anschlossen. Die Rückseite des Anwesens beherbergte Ställe und Futterkammern und rechts des Tores lagen die Räume, in denen Gäste übernachten konnten. KeYNamM klopfte an die Wirtsstube und als niemand antwortete, stellten sie die Pferde in einen offenen Stall und ruhten sich auf Strohbündeln, die dort lagen, aus.

Bei Anbruch der Dunkelheit trafen nacheinander weitere Gäste ein. Da weder von der Herbergswirtin, also von Tanan's Mutter Tirizi, noch von ihren Dienern etwas zu sehen war, stellten auch sie ihre Pferde in den Ställen unter. Einer, der wohl hier öfters zu Gast war, kannte das Versteck der Schlüssel zu den Gästekammern, öffnete sie und holte anschließend gekühlten Tee aus der Wirtsstube, von dem sich jeder frei bedienen konnte.

Während die anderen Gäste begannen sich im Hof im Schein von schnell entzündeten Fackeln mit Brettspielen die Zeit zu vertrieben, wurde Tanan immer unruhiger. Nachdem er den kurzen Weg zwischen Stall und dem Eingangstor schon vier Dutzend Mal hin und her getigert war, sprach ihn ein weißhaariger Mann an, „Du da! Auf was wartest du? Kannst du nicht erwarten, dass Tirizi mit ihren Mädchen zurückkommt? Bist so nervös, weil du deine Unschuld noch nicht verloren hast?" Dann lachte er laut, „Die Jugend will doch immer das Eine. Das kannst du heute Nacht bestimmt noch haben, auch wenn die Mädchen heute alle traurig sind."

Als Tanan mit hilflos hängenden Armen vor dem Alten stehenblieb, mischte sich KeYNamM ein, der die Frage unpassend fand. „Was ist los Alter, kannst du den meinen Sohn nicht in Ruhe lassen. Siehst du nicht wie nervös er ist? Er ist nicht wegen der Mädchen hier, bestimmt nicht."

„Warum denn sonst Bauer? Aber du hast Recht, an so einem Tag sollte man eigentlich nicht an so etwas denken. Die Mädchen haben nämlich ihre ermordete Freundin zu Grabe getragen!" Als KeYNamM zusammenzuckte, fügte der alte Krämer hinzu, „Sei beruhigt, Fremder, sie ist nicht hier ermordet worden, hier ist es sicher. Jemand hat sie in der Stadt abgepasst, entführt, missbraucht und dann tot über die Stadtmauer geworfen. Aber sei unbesorgt, die Polizei fahndet schon nach dem Mörder und der neue Ankläger wird dafür sorgen, dass die Suche erfolgreich wird."

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