Areksim benötigte fast den gesamten Vormittag bis er Ordnung in seine Truppe gebracht hatte und sie abmarschbereit vor ihm stand. Nur die Soldaten, die schon bei anderen Feldzügen unter ihm gedient hatten, waren sofort bereit aufzubrechen, die anderen jedoch, besonders die ehemaligen Strafgefangenen, aber auch ein Teil der frisch angeworbenen Söldner, machten Schwierigkeiten. Teils hatten sie einfach Angst wegen der Ereignisse an Meryem's Quelle, dem Durst und der Erkrankungen am 'See des fauligen Wassers' oder den Vorkommnissen der vergangenen Nacht, teils fürchteten sie sich einfach ohne Vorräte und Ersatzwaffen ins Unbekannte zu ziehen. Als sich die Truppe endlich in Marsch setzte, Stand die Sonne schon hoch am Himmel.
Sie kamen nur langsam voran, vor allem da zwei Dutzend Pferde verschwunden waren und jetzt manche Reittiere zwei Reiter tragen mussten. Zum Glück standen jetzt auch die Maultiere den Reitern zur Verfügung, die sonst zum Transport der Vorräte und Waffen nötig gewesen waren. Aber die waren langsamer und störrischer als Pferde.
Bald hatten die Späher an der Spitze des Expeditionskorps die Spuren entdeckt, die Tarit's Gruppe im Sand des Wadi zurückgelassen hatte. Aus den Spuren versuchten sie die Anzahl ihrer Gegner zu ermitteln. Sie einigten sich schließlich auf vierzig Reiter. Als Areksim diese Zahl mit der Anzahl der Männer verglich, die Udad in der Wohnburg gesehen haben wollte, wurden er unsicher. Sollte er seinen Spähern glauben oder dem ehemaligen Häftling. Er ließ Udad zu sich bringen und begann ein Verhör. „Hast du dich nicht getäuscht, als du im Tighremt nur um die dreißig Männer gezählt hast? Willst du mich über die wahre Stärke der Imuhagh täuschen oder haben sich meine Späher verschätzt?" Udad wurde wütend, „Ich habe dir gesagt, dass dort nicht mehr als 26 Imuhagh gleichzeitig waren! Vielleicht waren es mehr und einige hielten draußen Wache. Aber mehr als 30 waren es bestimmt nicht. Vielleicht führen sie Pferde mit sich, die sie uns geraubt hatten , um uns zu täuschen. Den ihren Anführer kannte ich bisher nicht. Sie nannten ihn Tarit. Soviel ich weiß, ist er der Liebling des Amenokals, des Wüstenkönigs, und dessen schärfste Waffe. Aber den anderen, den kenne ich gut! Er war mit mir im Straflager! Der ist durchtrieben und ich traue ihm alles zu. Es ist KeYNamM, der Amestan, der König vom Unland. Und sein Sohn war auch dabei. Die Imuhagh nannten ihn Ikken, den kleinen König Gaya!" Als Areksim ungläubig den Kopf schüttelte, „Das ist der Kleine, der den Amestan zur Flucht verholfen hat, ein ganz durchtriebenes Bürschchen." Dann schwieg Udad. Er glaubte fürs erste genug mitgeteilt zu haben und drehte dem Feldhauptmann den Rücken zu. Im Fortgehen murmelte er halblaut „Glaub es oder glaub es nicht! Ich weiß was ich gesehen habe und ich würde einen solchen Gegner an deiner Stelle nicht unterschätzen!"
Bald näherte sich Areksim's Kolonne der Stelle, an der Tarit mit dem größeren Teil seiner Gruppe die Abkürzung nach dem Ksar der Jinns eingeschlagen hatte. Die Späher ritten ein Stück im Seitental hoch, machten dann jedoch kehrt, „Herr!" ihr Anführer verbeugte sich vor Areksim, „Herr, dieser Weg führt direkt nach Norden in die Steinwüste. Dort gibt es keine Wasserstelle, keinen Platz zum Rasten, jedenfalls keinen Ort, der für Menschen geeignet ist, die nicht in der Wüste aufgewachsen sind. Wir schlagen vor, dass du ihnen einige von uns Spähern nachsendest, mit dem größeren Teil der Truppe aber weiter den Weg durch den Wadi bis zum Ksar der Jinns nimmst und dort erst in Richtung der Kasbah des Wüstenkönigs abbiegst. Sie ist dann nur noch zwei oder drei Tagesreisen entfernt." Areksim überlegte kurz, „Ich brauche euch hier. Aber gut, bestimme zwei, die der Spur folgen sollen. Sie sollen dem Feind aber nicht so nahe kommen, dass er sie entdeckt und abschlachtet. Sobald sie wissen, wohin die Gruppe der Imuhaghs zieht und wer sie anführt, sollen sie zurückkommen!"
Areksim folgte mit der Hauptmacht der Spur von KeYNamM's Gruppe. Da seine Truppen aber langsamer waren, vergrößerte sich der Abstand zu ihnen von Stunde zu Stunde.
Yufayyur, Ikken und die beiden Angadh waren auf dem Kamm der Talwand bis zu dem Seitental zurückgeritten an dem Tarit den Wadi verlassen und die Abkürzung zum Ksar der Jinns genommen hatte. Hier, versteckt zwischen trockenem Gestrüpp im Schatten von Steinblöcken, hatten sie auf den Vorbeimarsch der Truppen des Gouverneurs gewartet. Sie wollten schon die Späher verfolgen und unschädlich machen, verzichteten jedoch dann darauf, als diese nach kurzer Zeit umkehrten, um den Feldhauptmann Areksim zu unterrichten. Als das Expeditionskorps weiter zog und nur zwei Späher die Spur Tarit's aufnahmen, wussten sie was zu tun sei. Sie ließen ihnen einen Vorsprung, gaben dann ihren Pferden die Sporen und holten sie ein. Als die Späher sahen, dass die Imuhagh in Überzahl waren, ergaben sie sich kampflos.
Irat und Itri hatten den Spähern schon das Messer an die Gurgel gesetzt, als Ikken die beiden erkannte. „Hallo ihr Zwei! Euch kenne ich vom Soukh. Du da, du hast einen Obststand gleich neben dem meiner blinden Muhme und du arbeitest auf dem Viehmarkt. Was macht ihr hier? Warum verfolgt ihr mich, Aylal, den Amestan und die Wüstensöhne? Was haben wir euch getan?"
Der Mann mit dem Obststand wurde erst bleich, dann rot und wieder bleich, Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Schließlich stammelte „Ikken, bist du das Ikken, mein Nachbar?", dann schluckte er, „Ich verfolge dich nicht Ikken, auch Aylal nicht! Plötzlich wart ihr verschwunden. Die ganze Stadt suchte nach euch. Der Gouverneur ließ verkünden, dass der Amestan euch geraubt hat! Er hat demjenigen eine Belohnung versprochen, der euch zurückbringt. Als das nicht Erfolg hatte, ließ er den gesamten Soukh bei der Suche nach euch auf den Kopf stellen. Er hat den Stand deiner Muhme niedergebrannt. Meiner ist gleich mitverbrannt." Dann verstummte er betrübt, um nach einer Weile fortzufahren „Und deine halbblinde Tante? Du willst es bestimmt wissen, Ikken. Der Gouverneur ließ sie in sein Haus bringen, um für sie zu sorgen!"
Ikken war überrascht. Er war glücklich über die gute Nachricht von seiner alten Tante, „Lebt sie noch? Geht es ihr gut? Was macht sie?" Er wollte alles wissen. Aber sein früherer Nachbar machte plötzlich ein betretenes Gesicht. „Sie ist tot. Sie starb im Haus des Gouverneurs."
„Aber meine Tante war zäh, halbblind zwar, aber gesund! Sie war gesund! Ich glaube nicht, dass sie gestorben ist! Er hat sie umgebracht!"
Ikken zog eine Parallele zum Schicksal seines Vaters. „Der Gouverneur hat meine liebe Muhme bestimmt zu Tode gemartert. Er wollte aus ihr herausholen, wohin wir sind, ich, Aylal und der Amestan! Sie hat es nicht gewusst! Ich hatte ihr nicht einmal mitgeteilt, dass wir fliehen, schon gar nicht wohin wir uns wenden würden. Meine Tante konnte es ihm mich verraten, daher hat er sie ermordet!" Ikken weinte. Dann stieß er voll Zorn hervor, „Der Gouverneur hat am längsten gelebt! Erst meinen lieben Vater, jetzt meine herzensgute Muhme. Der Gouverneur hat am längsten gelebt."
Die beiden Späher dachten, dass diese Nachricht ihren Tod besiegeln würde. Irat und Itri fesselten ihnen die Hände auf dem Rücken und stießen sie zu Boden. Aber Ikken winkte die beiden zur Seite, „Steckt die Messer fort, wir müssen etwas besprechen."
Er diskutierte lange und heftig mit Yufayyur und den beiden Imuhagh. Am Ende trat Yufayyur vor sie, „Wenn euch das Leben lieb ist, schwört dem Gouverneur ab und dem Wüstenkönig die Treue." Als sie nickten, trat Ikken vor sie; „Wenn euch das Leben lieb ist, dann schwört dem Amestan die Treue." Sie nickten. Dann traten Irat und Itri vor sie. „Wenn euch das Leben lieb ist, dann schwört Ikken die Treue, Ikken dem Sohn Königs Gaya's!" Die gefesselten Späher blickten erstaunt zu Yufayyur und den beiden Imuhagh und begannen zaghaft, „Wir schwören dem Amestan die Treue! Wir schwören dem Amenokal die Treue!" Dann blickten sie zu Ikken auf, verbeugten sich so tief als sie im Sand liegen konnten, „Wir schwören Ikken, dem Sohn Königs Gaya, dem Schöpfer des Wüstenreichs, die Treue! Wir schwören es!"
Gegen Abend bog KeYNamM's Kolonne vom Wadi in das schmale Seitental ein, das nach Osten führte. Nach etlichen Meilen erweiterte es sich zu einem Kessel, an dessen steilen Wänden drei Kasbahs klebten. Im rötlichen Licht der tiefstehenden Sonne leuchteten die Stampflehmwände der Wohnburg auf der Ostseite wie lebendig, während die Burg im Süden bereits im Schatten lag und zu schlafen schien. Die Überreste der Kasbah auf der Nordseite des Kessels machten aus der Entfernung den Eindruck eines Irrgartens. Sie war die älteste und von ihren Häusern standen nur noch verschachtelte Mauern. Die Dächer fehlten oder waren eingestürzt. Auf dem schlanken Turm der Kasbah am Südhang flatterten an langen Stangen Fähnchen im Abendwind.
„Gebetsfahnen auf dem Turm einer verwünschten Kasbah?", fragte der KeYNamM den Späher aus dem Klan der Angadh, der neben ihm ritt. Dann überlegte er laut „Gebetsfahnen! Vielleicht sollen sie böse Geister beschwichtigen? Sollen sie gute Geister willkommen heißen? Sollen sie Geister versöhnen?" Als Bewohner des Draatals wusste KeYNamM nicht viel über die religiösen Vorstellungen der Imuhagh. Sie glaubten an Geister, das wusste er. Vor allem fürchteten sie Kel Essuf, den bösen Kel Essuf und sie liebten Kel Essuf, den guten Kel Essuf. Durch Meditation traten ihre Gelehrten, die Marabout, und die weisen Frauen mit dem Wüstengeist in Verbindung, durch ihn konnten sie heilen, die Zukunft vorhersagen, die Vergangenheit deuten. Kel Essuf, der Unberechenbare, der Wilde, der Einsame, der Trauernde, Kel Essuf war mächtig und allgegenwärtig. Er durfte nicht beleidigt werden. Die Wüstenmenschen schützten sich mit Amuletten vor seinem Zorn, Männern mit einem Beutelchen, in dem sie magische Gegenstände mit sich trugen, Frauen mit einem handförmigen Amulett aus Silber.
Der Späher aus dem Klan der Angadh fragte, „Soll ich dir die Geschichte des Ksar der Jinns erzählen?" Er wartete nicht, sondern begann. „Die erste Kasbah klebte schon an der steilen Bergwand als wir Angadh hier ankamen. Sie war damals schon unbewohnt und im Zerfallen. Die kleinwüchsigen Menschen, die hier ein karges Leben fristeten, erzählten vom Fluch der auf dem Ort lag." Er dachte nach und fuhr dann fort. „Der Jnun der Quelle, ein Wesen, das älter war als der erste Mensch, und das Leben in ihrem Umkreis ermöglichte, verlangte Tag für Tag ein Opfer, kein großes Opfer, kein blutiges Opfer, nein, er begnügte sich mit einem Stückchen Fladenbrot, ein wenig Hirsebrei, ein paar Datteln. Als die Bewohner der Kasbah reich wurden, begannen sie ihre Pflicht zu vernachlässigen. Das ärgerte den Jnun. Er wartete ein Jahr. Als ihm auch nach dieser Zeit niemand mehr Opfer darbrachte, ließ er das Wasser nur noch tröpfeln und als ein weiteres Jahr verging, ohne dass die Bewohner der Kasbah ihre Pflicht erfüllten, ließ er die Quelle vollständig versiegen. Die Menschen verwünschten den Jnun, ohne nach ihrer eigenen Schuld zu fragen. Sie zogen weg und der Wind und der Sturm zerstörten die Kasbah."
Der Späher schaute KeYNamM in die Augen, „Erfüllt ihr am Draa auch eure Pflicht? Ehrt ihr die Geister?" Dann fuhr er fort, „Generationen später kam ein junger Imuhagh, der um seinen Freund trauerte. Er setzte sich an das kleine Rinnsal, das dem Quelltopf wieder entsprang und seine Tränen vermischten sich mit dem Wasser. Das erweichte das Herz des Jnun's. Er erbarmte sich, und das Wasser begann zu fließen, reichlicher als je zuvor. Seine Brüder kamen ihn suchen und als sie das Wasser der Quelle kosteten, gründeten sie eine neue Kasbah. Sie zogen mit ihren Frauen, ihren Kindern, ihren Sklaven und ihrem Vieh in die neue Burg, die größer und schöner war, als die erste."
„Solange der Imuhagh lebte, ging er jeden Tag zur Quelle und weinte um seinen verlorenen Freund und das Wasser hörte nie auf zu fließen. Aber als er im hohen Alter starb, vergaßen seine Kinder, dass er mit seinen Tränen den Quellgeist gelabt hatte. Niemand kam mehr zur Quelle und labte den Jnun mit Tränen, niemand brachte ihm Opfer dar. Langsam, sehr langsam versiegte die Quelle und auch die zweite Kasbah hörte auf zu leben und verfiel."
Er schaute KeYNamM traurig an, „Alles wiederholt sich! Ein drittes Mal begann die Quelle zu fließen als ein Knabe vorbeikam, der sein weißes Schäfchen suchte. Das war mein Ururgroßvater. Er hatte einen Strauß Blumen gepflückt. Damit wollte er das weiße Schäfchen nach Hause locken. Als er das Schäfchen nicht fand, warf er die Blumen in die Quelle. Der Jnun fing sie auf, war versöhnt und ließ die Quelle wieder fließen."
„Meine Vorfahren bauten eine neue Wohnburg, die schöner war als alle vorher. Als aber mein Ururgroßvater starb, brachte niemand mehr Blumen zur Quelle. Sie versiegte und die Bewohner der Kasbah mussten wegziehen. Aber ihre Nachfahren schmücken heute noch den Turm mit Fahnen und hoffen, dass der Jnun versöhnt wird und die Quelle wieder so reichlich fließen lässt, das die Burg wieder bewohnt werden kann."
„Aber deine Brüder haben mir erzählt, dass Jinns in den Burgen wohnen und wer dort übernachtet, kann die ganze Nacht kein Auge schließen. Sag ist das wahr?" KeYNamM war neugierig.
„Ja, der Jnun hat seine Söhne, die Jinns, zu Hilfe gerufen und erst wenn er wieder versöhnt ist, schickt er sie heim. Dann wird die Quelle des Jnun wieder fließen."
„Wer wird der sein, der den Jnun versöhnt? Weißt du das Wüstensohn? Du bist weise. Du kennst die Vergangenheit. Kennst du auch die Zukunft?"
„Ich bin keine Marabout. Ich bin nicht weise, Gott hat mir nicht die Kraft geschenkt, die Zukunft zu sehen." Dann dachte er nach, „Aber die weisen Mütter sagen, dass es wieder ein Junge sein wird, der den Jnun aufweckt!"
Erst jetzt, vorm Eingang zum Kessel, konnte KeYNamM die Quelle des Jnun sehen. Der vormals fruchtbare Ackerboden der Oase war fast vollständig mit dürrem Gestrüpp bedeckt und im ehemaligen Palmenhain reckten sich nur noch verdorrte Stämme zum Himmel. Dort, wo ein schmaler Pfad aus dem Kessel zur Kasbah am Osthang führte, unterbrach ein tiefgrüner Fleck das graue Einerlei der toten Pflanzen. „Die Quelle?", wandte er sich fragend an den Späher und gerade als dieser nickte, nahm KeYNamM aus dem Augenwinkel eine Bewegung zwischen den Mauern der Wohnburgruine wahr. Schon richtete er sich in den Steigbügeln auf und griff nach seiner Lanze, als er in einem der Reiter Tarit erkannt.
Tarit näherte sich KeYNamM im gestreckten Galopp und hielt sein Pferd so blitzartig vor ihm an, dass es auf den Hinterbeinen hochstieg. „Ihr kommt spät! Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass euch Areksim's Truppen eingeholt hätten." Er drängte sein Pferd neben das KeYNamM's, umarmte seinen Freund und drückte ihn fest. „Lass uns zur Quelle reiten und ihr …" er wandte sich an die Anderen, „… ihr reitet mit meinem Begleiter zu unserem Versteck dort oben. Nehmt die Pferde mit, auch wenn die lieber zur Quelle wollen."
Über der Quelle des Jnun spannte sich ein Dach aus großen Steinblöcken. Das wenige Wasser, das aus einem Spalt im Felsen quoll, reichte gerade aus, um ein flaches, sandigen Becken zu füllen. Leicht angewärmt von der Abendsonne verließ es die Schale als schmales Rinnsal am entgegengesetzten Ende. Dort versickerte es so schnell im trockenen Boden, dass die Feuchtigkeit gerade für die wenigen Gräser ausreichte, die um den Abfluss herum wuchsen.
Tarit und KeYNamM rissen sich die Gewänder vom Leib und tauchten im flachen Wasser unter so weit es ging. Als sie später im lauwarmen Wasser ruhten, den Kopf an den Beckenrand gestützt, fragte KeYNamM „Sind Ikken und Yufayyur schon aufgetaucht? Ich mache mir Sorgen um die Beiden. Sie sind noch zu jung, um es mit Areksim's Söldnern aufzunehmen."
Tarit schüttelte den Kopf, „Ich mach mir auch Sorgen, aber ich verlasse mich auf meinen Yufayyur. Er ist nicht unerfahren und hat schon oft bewiesen, dass er mutig ist. Er ist aber nicht wagemutig." Nach einem Moment fügte er hinzu, „Glaub mir mein Amestan, ich würde meinen Schwager und Sohn ebenso vermissen, wie du Ikken und Aylal." Als KeYNamM ihn fragend anblickte, fuhr er fort „Nach Tamimt kommt gleich Yufayyur, ihr Bruder. Wenn er fort ist, vermisse ich ihn sogar mehr als Dihya und Lunja, Tamimt's Schwestern, meine anderen Frauen."
KeYNamM lachte leise, „Du liebst ihn? Ich liebe Ikken und Aylal ebenfalls, glaub mir, ich kann mir nicht mehr vorstellen, ohne sie zu leben."
Als aus der Ferne leise Geräusche der herannahenden Truppe Areksim's zu ihnen drangen, verloren sie keine Zeit und begaben sich zu ihren Männern, um den letzten Teil des Verteidigungsplan zu verwirklichen.
Areksim war unzufrieden, unzufrieden wie nur ein Feldhauptmann sein konnte, wenn alles schiefging. Die Truppe des Gouverneurs hatte viel zu viel Zeit benötigt, um von der Oase Mhamit bis zum Ksar der Jinns zu kommen. Auch jetzt, als er in den Kessel einritt, war die letzte Söldnertruppe noch nicht in Sicht. Wahrscheinlich waren diese Trödler noch nicht einmal in das Seitental eingebogen, das vom großen Wadi zum Ksar der Jinns führte. Natürlich gab es einen Grund dafür, eigentlich sogar mehrere. Einmal fehlten zwei Dutzend Pferde, die an Meryems Quelle und der Oase Mhamit von den Imuhagh geraubt worden oder einfach geflüchtet waren. Folglich mussten jetzt viele Pferde zwei Reiter tragen und was sie entsprechend ermüdete und langsamer machte. Zweitens waren viele der Vorräte bei den Überfällen in Brand gesetzt, also unbrauchbar geworden und drittens hatten die Wüstenreiter die Behälter mit Pfeilen und Ersatzlanzen bei der Oase Mhamit geraubt. Wüstenreiter? Treffender wäre Wüstenräuber! Schimpfte er leise, gottverdammte Wüstenräuber!
Ein anderer Grund war Udad. Wie hatte er den Oberkapo aus dem Straflager an der Kristallmine nur zu seinem Vertreter und dessen Kumpane zu Leutnants befördern können? Das aber war eindeutig die Schuld des Gouverneurs. Dieser hatte ihm Udad und dessen Kumpane aufgedrängt. 'Die haben sich in allen Lebenslagen bewährt', hatte der Gouverneur geschwärmt! Er, Areksim, er als der erfahrene Feldhauptmann, hätte misstrauischer sein müssen und nicht auf den Gouverneur hören. Verbrecher bleiben eben Verbrecher!
Jetzt, wo sie an der Quelle des Jnun standen, waren Udad immer noch die Hände auf dem Rücken gefesselt. Lauthals beschwor der seine Unschuld, verlangte unverzüglich freigelassen und in seine alten Position als Unterführer eingesetzt zu werden. Areksim aber lehnte beides ab! Udad's Gesicht war vor Wut rot angelaufen. Er fluchte. Er beschimpfte den Feldhauptmann. Er drohte ihm und endlich schwor er unverzüglich nach Tinghir zurückkehren zu müssen, um sich beim Gouverneur zu beklagen.
Areksim hatte genug. „Maysar, Tanan, Ayrad und Winsen kommt her!" brüllte er seinem neuen Leutnant und dessen Adjutanten zu, „Bringt Udad und seine Kumpane in Kasbah dort drüben. Werft sie gefesselt in einen finsteren Raum und verrammelt dessen Zugang, damit sie mir nie mehr über den Weg laufen können! Sollen sie doch dort verhungern!"
Mit ihren Begleitern hatten Yufayyur und Ikken das Expeditionskorps des Gouverneurs verfolgt bis sie sicher waren, dass auch die letzte Gruppe der Söldner im Seitental, das zum Ksar der Jinns führte, verschwunden war. Dann schlugen sie die Abkürzung zu Tarit's Versteck oberhalb der toten Siedlung ein. Dort trafen sie nur einen Leutnant der Grenztruppe und zwei Grenzwächter, die die Pferde bewachten und versorgten.
„Hallo, wen bringt ihr denn mit?", war die erste Frage des Leutnants, „Das sind keine von uns, nicht einmal Imuhagh. Sehen nach des Gouverneurs Söldner aus."
„Sind es auch! Wir haben die abgefangen, als sie uns nachspüren sollten. Sie waren nicht die besten Spürhunde!", antwortete einer der beiden Imuhagh und der andere ergänzte stolz und zeigte auf Yufayyur „Sie haben ihm und dem Wüstenkönig die Treue geschworen. Und ihn ...", er zeigte stolz auf Ikken, „… sie haben ihn als Erben von König Gaya anerkannt."
„Warum habt ihr sie denn nicht entwaffnet?"
„Ich kenne beide", erklärte Ikken, „Sie waren meine Nachbarn auf dem Soukh in der Stadt. Ich traue beiden." Dann schluchzte er leise, drehte sich zu Yufayyur, „Wie soll ich Aylal beibringen, dass der Gouverneur seine Muhme umgebracht hat! Sie hat ihn doch aufgezogen und er liebt sie!"
„Ikken, du musst dem Gouverneur den Kopf abschlagen und ihn Aylal bringen. Das wird seine Trauer nicht mindern, ihn nicht trösten. Aber der Kopf des Gouverneurs wird deinem Bruder zeigen, dass Unrecht nicht geduldet wird." Als Ikken ihn zweifelnd ansah, „Du bist nicht allein, Ikken! Der Amestan, Tarit und ich, wir werden sie rächen, alle, deinen Vater, deine Muhme, alle, alle die der Gouverneur aus Willkür und Mordlust hat umbringen lassen!"
In der aufziehenden Nacht suchten Ikken und Yufayyur in den Truppen nach Tarit. Diese hatten die Kämme der Hügel um den Talkessel besetzt, in der die Quelle des Jnun entsprang. Besonders gut bewacht war der Weg auf das Plateau des Gebirges, der weiter zur Kasbah des Amenokal führte.
Ikken und Yufayyur brauchten nicht zu lange suchen, da sowohl Tarit als auch KeYNamM sich bei der Gruppe befanden, die den Pfad bewachten. Als die beiden Jungen ankamen, berieten sie gerade, was die beste Taktik wäre, das weitere Vordringen der Truppen des Gouverneurs zu verhindern.
„Wir haben Areksim schon deutliche Verluste zugefügt, einen Teil seiner Vorräte vernichtet, seine Reserven an Pfeilen und Lanzen an uns gebracht, ihm mehr als zwanzig Pferde abgenommen. Das alles wird seiner Truppe fehlen und das Wichtigsten ist, seine Männer taugen nicht für einen Krieg in der Wüste."
„Du hast recht Tarit", sagte eine leise Stimme aus dem Dunklen, „Nur etwa ein Viertel der Söldner hat Kriegserfahrung, die andern sind praktisch Rekruten!"
„Hallo, hallo, bist du das Yufayyur?"
„Ist Ikken auch ..."
„Klar KeYNamM-baba! Und wir haben noch eine gute Nachricht! Ich habe zwei seiner Späher gefangen! Und was glaubst du? Es sind meine Nachbarn vom Soukh! Sie haben die Seiten gewechselt und uns die Treue geschworen!"
KeYNamM stürzte auf Ikken zu. In der Dunkelheit rannte er ihn beinahe um. Fing ihn jedoch im letzten Augenblick auf, hob ihn hoch und begann mit ihm im Arm zu tanzen. „Lass mich runter, Baba. Drück mich nicht tot!" Ikken versucht Luft zu bekommen, denn was er mitteilen wollte, war wichtig. „Aber das ist noch nicht alles! Areksim hat seinen Unterführer Udad degradiert, Udad, den Oberkapo aus der Kristallmine. Er hat ihn und seine vier Kumpane gefangengesetzt."
„Nun hat er also seine Truppe selbst geschwächt! Uns soll das nur recht sein. Jetzt weiß ich auch, wer die fünf waren, die in die Kasbah gesperrt wurden", mischte sich Tarit ein, der immer noch einen Arm um Yufayyur's Schultern gelegt hatte.
„Wir sollten die Fünf befreien, denn, wie ich Udad kenne, wird der bestimmt versuchen, Rache an Areksim zu nehmen."
„Wie kommen wir ungesehen an die Kasbah. Das kann nur einer der sich hier gut auskennt!"
„Ich mach es, ich und mein Zwillingsbruder", meldete sich ein junger Angadh, „Wir kennen hier jedes Loch. Schon als Kinder haben wir und unsere Freunde in den Wohntürmen gespielt. Jede Kasbah hat versteckte Hintereingänge, auch die, in der die Fünf eingesperrt sind."