KeYNamM ~ König ohne Namen ~ German

Kapitel 2: Brunnenkinder

Der Widerhall von Kinderstimmen weckte KeYNamM. Eine davon hell wie Vogelgezwitscher am Morgen, die andere schon etwas angeraut, wie die eines Jungen, an der Grenze zum Erwachsenenalter. Die Stimmen drangen durch das Gitter der Brunnenkammer in die Quellkammer, einem schmalen niedrigen Raum, in dem das Wasser aus dem Berg sickerte. Von dort floss es weiter durch einen engen Auslass in die Brunnenkammer, um im tiefen Brunnenschacht aufgefangen zu werden.

KeYNamM schob sich näher an das Gitter und spähte in die Brunnenkammer. Im Halbdunkel erblickte er zwei magere Gestalten, einen etwa Vierzehnjährigen und einen Knaben von vielleicht neun Jahren. Beide hatten die Kleider abgelegt und während der Ältere sich sorgfältig wusch, tanzte der Jüngere in den Wasserpfützen am Brunnenschacht und spritze den anderen nass.

„Komm spiele mit, Ikken!", bat er, nahm den Mund voll Wasser und blies die Fontäne dem anderen ins Gesicht. „Komm, sei kein Feigling, du hast versprochen, dass wir hier drinnen Spaß haben werden!"

„Du bist schon nass wie ein Spatz in der Pfütze! Beeil dich Aylal, kleiner Vogel! Mach schon! Jeden Augenblick können die Stadtwächter kommen und da müssen wir draußen sein, sonst gibts Ärger."

„Komm Ikken, es ist doch viel zu schön hier! So schön kühl! Soviel Wasser! Du hast versprochen, dass du hier mit mir spielst, wenn ich nicht zur Himmelsleiter gehe. Alle meine Freunde sind hingegangen und du lässt mich nicht! Warum? Die erzählen bestimmt den ganzen Tag von dem Kampf der beiden Verbrecher auf der Himmelsleiter und von dem vielen Blut und wie die geschrien haben, wenn sie von den Lanzen aufgespießt wurden."

„Das erkläre ich dir später kleiner Bruder, ein andermal!"

Noch bevor Aylal weiterprotestieren konnte, ertönten Stimmen im Gang zur Brunnenkammer. Schnell packte der Größere seinen Bruder, hielt ihm den Mund zu und zog ihn in den Türschatten neben dem Eingang. Ängstlich in die Ecke gedrückt, schaute er sich in dem kahlen Raum nach einem besseren Versteck um. Da fiel sein Blick auf das Gitter, das Quellkammer und Brunnenkammer trennte. Für einen Augenblick kreuzten sich die Blicke KeYNamM's und des Jugendlichen. Der erschrak, wollte schon aufschreien, hielt sich dann jedoch die Hand vor den Mund und erstickte den Schrei!

Die Wächter gingen jedoch nicht in die Brunnenkammer, sondern stiegen die acht Stufen zur Quellkammer hoch und schoben unter Fluchen den rostigen Riegel der Eingangstür zurück. KeYNamM rollte sich schnell zur Mitte der Kammer und blieb dort wie ohnmächtig liegen.

„Komm wach auf! Komm schon, seine Hoheit der Gouverneur des Imperators, der Gouverneur Gwasila will dich sehen. Er ist immer noch dein Herr, auch wenn dich die Menschen am Draa König nennen, König vom Unland!", mahnte der eine Stadtwächter.

KeYNamM stellte sich ohnmächtig. Er rührte sich nicht und atmete nur flach. Er wollte den Jungen die Möglichkeit geben, aus der Kammer zu flüchten.

„He, du König vom Unland!", zischte der andere Stadtwächter und stieß ihn mit dem Fuß an. „Es kann dir gar nicht so schlecht gehen, schließlich hast du den Kampf gewonnen und wirst bald frei sein!

„An deiner Stelle hätte ich keinen Moment geschlafen! Los wach schon auf, wenn du nicht willst, dass es sich der Gouverneur anders überlegt und dich ins Straflager zurückschickt!"

„Gouverneur Gwasila kann alles! Und er sieht Aufrührer wie dich lieber tot als lebendig, vor allem einen, den Menschen König nennen!"

Die Wächter zerrten KeYNamM zum Ausgang der Brunnenanlage. Als sich die Augen KeYNamM's an das helle Sonnenlicht gewöhnt hatten, fiel sein Blick auf die beiden Jungen. Sie standen an der Stadtmauer und zogen sich an, schauten aber nicht zu ihm herüber. Er atmete auf. Sie hatten es also geschafft.

Als die beiden Wächter KeYNamM quer über den heißen Platz zum Stadthaus mit dem Gerichtssaal führten, fühlte der Mann plötzlich Blicke im Rücken. Sicher starrte jemand auf das Zeichen des Imperators auf seinem Rücken, die Markierung, die ihn, KeYNamM, als Eigentum des Imperators kennzeichnete! KeYNamM drehte sich unwillkürlich um und blickte zurück. Ihre Blicke begegneten sich erneut, KeYNamM's Blick und der des Halbwüchsigen, den der kleinere Junge Ikken genannt hatte. Ikken und Aylal, die Namen hatten sich in sein Gehirn eingeprägt.

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Ikken packte seinen kleinen Bruder an der Hand und zerrte ihn über den in der Sonne glühenden Platz in den Schatten der Brunnenanlage. „Komm Aylal, wir müssen denen nach, den Dreien, den Stadtwächtern und dem Mann!"

„Aber warum? Ich hab Hunger! Du hast mir ein Bad und dann frisches Fladenbrot mit Datteln versprochen. Jetzt hab ich Hunger!"

„Nicht jetzt Aylal, später!" Und der größere begann seinen kleinen Bruder über den Platz zu zerren.

„Aber warum? Warum müssen wir den Dreien nach. Du hast doch sonst immer Angst vor den Wächtern, Ikken."

„Darum!"

„Warum?", insistierte der Jüngere.

„Ich sag es dir später. Du verstehst es jetzt nicht!"

„Immer später! Warum?"

Ikken zögerte einen Augenblick lang, dann gab er nach, „Der Mann dort, schau wie er geht, schau, er geht wie Baba!" Seine Stimme überstürzte sich. „Seine Haare, schau, hell wie die von Baba und …", Ikken zögerte, „… ich hab auch sein Gesicht gesehen, im Dunkeln, in der Brunnenkammer! Er hat uns von der Quellkammer aus beobachtet! Er hat mich angesehen! Er sieht aus wie Baba!"

„Vater ist weg, schon lange weg! Du hast mir das immer gesagt, immer wieder!" Aylal glaubte seinem Bruder nicht! „Du schwindelst! Du hast Baba nicht gesehen, du weißt gar nicht wie Baba aussieht! Er ist schon so lange von uns gegangen!"

„Du warst damals zu klein, du kannst dich nicht mehr an Baba erinnern. Du warst erst drei, ich aber acht!"

„Ich kann mich erinnern! Natürlich! Wie er mich immer auf dem Arm getragen hat, wie er mich mit seinem Bart gekitzelt hat! Wie groß er war!"

„Gib es doch zu! Du kannst dich nicht an sein Gesicht erinnern, seine Augen!" Ikken dachte nach, dann, mit Triumph in der Stimme: „Der Mann hat Baba's Augen, blaue Augen!"

„Baba hatte buschige Augenbrauen. Aber ich erinnere mich nicht an die Farbe seiner Augen. Ich will seine Augen sehen! Komm schnell!" Aylal riss sich los und rannte den Dreien nach. „Vielleicht ist es doch Baba! Ich frag ihn."

Mit fünf Schritten holte Ikken ihn ein und riss seinen Bruder zurück! „Aylal, halt! Aylal, er ist es bestimmt nicht! Ich …" Ikken wollte schon sagen, „Ich weiß wie er starb! Ich war dabei!", doch dann sagte er nur, „Komm Bruder, Aylal, mein kleiner Vogel, wir schleichen ihnen nach! Mit Abstand! Vielleicht braucht der Fremde unsere Hilfe!"

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