Nickel grinste mich an. Dann blinkte er zu seinem Spitz, den er hatte sein Bubespitzle gerade aus dem Hosenschlitz gefischt. Ich wusste gleich was das heißen sollte. Ich blickte zu Stani hinüber, der auf der anderen Seite von mir stand. Der grinste nur. Wir traten einen Schritt zurück, zielten und versuchten die geteerte Klowand hoch zuschiffen, so hoch wie nur immer möglich! Kopfhoch sollte der gelbe Strahl die Wand mindestens treffen! Wer höher schiffen würde, hatte gewonnen. Er würde den Preis, eine Tüte Himbeerbonbon, von den anderen kassieren. Die letzten beiden Male hatte ich verloren. Heute wollte ich gewinnen.
Das Jungenklo im der Schule in Gondersdorf war nichts weiter als ein rechteckiger Raum mit schwarz geteerten Wänden und einer Rinne an den Wänden entlang. Wenn wir in der Pause austreten mussten, gingen wir hinein und schifften gegen die Wand. Der Urin sammelte sich in der Rinne floss zur Senkgrube. Der Raum war düster, denn das schmale Fenster zum Schulhof hin war hoch oben in der Wand und ließ kaum Licht herein. Das sorgte dafür, dass kein Schüler von draußen ins Klo blicken konnte, jedoch auch dafür, dass es hier drinnen stank, besonders ab jetzt Ende April zu Beginn der warmen Jahreszeit.
Wir drei aus der fünften Klasse standen an der Wand direkt neben der Tür. An den anderen zwei Wänden standen Schüler aus anderen Klassen, die ebenfalls austreten mussten. „Achtung, fertig, los!“ kommandierte Stani, der einen halben Kopf größer war als ich.
Wie gesagt hatte ich die letzten dreimal das Hochschiffen verloren. Heute wollte ich einen Trick ausprobieren, den ich mir gestern eingefallen war. Mit zwei Fingern zog ich die lose Vorhaut soweit über die Eichel vor wie möglich, hielt ihre Öffnung zu und begann zu mit aller Macht den Urin aus der Blase heraus zu pressen. Schnell füllte sich die lose Tasche um die Eichel mit Urin. Sobald sie stramm gefüllt war, drückte ich den Rücken durch, richte den Spitz steil nach oben, öffnete den Vorhautschlitz einen winzige Spalt und presste sie mit den Fingern der anderen Hand zusammen, während ich so stark wie möglich den Urin aus der Blase drückte. Das hatte Erfolg! Meine Pisse stieg im hohen Bogen auf und traf die Wand hoch über unseren Köpfen. „Überkopfhoch!“ stöhnte ich befriedigt aber erschöpft und schaute triumphierend nach links und rechts. Weder Nickel noch Stani hatten mich diesmal übertroffen.
Noch bevor ich in Triumphgeschrei ausbrechen konnte, ließ ein scharfer Pfiff vom Fenster her alle Jungs im Klo die Köpfe herumreißen. „Ihr Drei! Sofort mit der Schweinerei aufhören!“ rief jemand drohend, „Madz! Nickl! Stani! Aufhören! Sofort zu mir!“ Es war Junglehrer Beck, der uns erwischt hatte. Nickl und Stani ließen schnell ihren Spitz in der Hose verschwinden und rannten mit offen Hosenschlitz nach draußen. Ich hatte nur meine blaue Turnhose an, denn eine Unterhose hatte ich heute erst gar nicht angezogen. Sie lag unterm Bett. Jetzt Ende April war es natürlich schon warm genug um in der dünnen Turnhose zur Schule zu gehen.
Die Frühjahrswärme war jedoch nicht der eigentliche Grund warum ich ohne Unterhose in die Schule gegangen war. Vor einem Jahr hatte ich das Wixen entdeckt! Am liebsten hätte ich von morgens bis abends mit meinem Steifen herumgespielt und tat‘s auch so oft wie möglich. Pfarrer Angler verbot es mir zwar in jeder Beichte, aber was soll‘s! Ich hatte ja den Steifen und nicht er. Ich wixte also wenn‘s immer möglich war und wenn ich die Unterhose dabei nicht ausziehen konnte, ging das weiße Zeugs eben in die Hose. Heute Morgen, nachdem ich die Unterhose drei Tage getragen hatte, war sie vorn brettsteif von der eingetrockneten Wixe. Am Po hatte sie außerdem einen braunen Streifen, denn den Po mit den harten Zeitungspapier abwischen mochte ich gar nicht gern. Ich mochte zwar den Geruch von frischer Wixe, als ich mir die schmutziger Unterhose nach dem Aufstehn vor die Nase hielt, roch sie jedoch sehr verdächtig nach trockener Wixe und nach dem Anderen, dem brauen. Ich schob sie daher unters Bett und wollte sie später im Beutel mit der Schmutzwäsche verstecken.
Jetzt hatte die Tatsache, dass ich nur die Turnhose anhatte, einen Nachteil! Als ich den Spitz schnell zurück in die Turnhose steckte, liefen die letzten Tropfen noch heraus. Sofort prangte auf meiner hellblauen Turnhose ein dunkler Fleck! Als ich das bemerkte, bekam ich einen roten Kopf und rannte an Junglehrer Beck vorbei über den Hof ins Klassenzimmer. Ich hatte Glück. Er wollte zwar nach mir greifen, konnte das jedoch nicht, da er Nickl mit der einen Hand an den Ohren hielt und Stani mit der anderen. „Wart nur Magnus!“ rief er mir nach, „Wir beide sehn uns später!“
Den ganzen Vormittag lang versuchte ich Herrn Beck, meinem Klassenlehrer, aus dem Weg zu gehen. Eigentlich mochte ich ihn, jedenfalls besser als unsern Schulleiter, Herrn Gerstle oder Pfarrer Angler, die uns auch noch unterrichteten. Mein Klassenlehrer war Junglehrer und hatte in Gondersdorf seine erste Stelle! Das wusste ich von meiner Mutter, die es von Schulleiter Gerstle hatte. Dann hatte sie noch hinzugefügt, „Stell Dich gut ja mit ihm, schließlich brauchst Du eine Empfehlung fürs Gymnasium.“ Diesen Rat hätte sie sich wirklich sparen können, denn Junglehrer Beck war wirklich in Ordnung. Ich mochte ihn und strengste mich daher im Unterricht an. Ihn mochte ich lieber als den Pfarren oder den Schulleiter. Das mit dem Schulleiter hatte aber seinen besonderen Grund!
Klar von Pfarrer Angler bekam ich die besten Noten. Einmal weil er mich mochte und zum anderen weil mir Reli wirklich leicht fiel. Wie kein anderer in meiner Klasse konnte ich mir die Geschichten über die Heiligen und die aus der Bibel merken. Ich war darin sogar besser als die Mädchen. Schon am Ende der ersten Klasse hatte weit mehr Fleißbildchen gesammelt, als ganze Klasse zusammen. Wenn er mich aufrief, konnte ich die durchgenommenen Geschichten wortwörtlich wiedergeben, zumindest beinah. Zudem machte ich beim Beten in den Gottesdiensten so ein ernsthaftes Gesicht, dass mich sogar die Betschwestern mochten. Ich war so berühmt für meine anscheinende Ernsthaftigkeit, dass Pfarrer Angler versuchte meine Mutter zu überreden, mich in ein Priesterseminar zu stecken. Solle später Pfarrer werden. Er hätte ja keine Kinder und könnte sogar seine Messgewänder erben. Mama war zum Glück dagegen und Oma erst recht, denn sie war ziemlich ungläubig. An Geister glaubte sie jedoch!
Reli war trotzdem nicht meine Sache, auch wenn ich einige Geschichten aus der Bibel spannend fand, die von Moses z. B. Denn wer wird denn schon als Baby in einem Weidenkörbchen ausgesetzt, dann von einer Königstochter gerettet, wird der beste Berater des Pharao und entkommt ihm dann mit allen Israeliten ins gelobte Land. Besonders die Sache mit dem Ertrinken vom Heer des Pharao im Meer fand ich toll! Mit Maus und Mann davon Wasser weggespült! Das fand ich toll. Aber ich glaubte die Geschichte nicht. Konnte sich das Meer zu beiden Seiten des Weges der Israeliten wirklich zu Wänden erheben, damit sie trockenen Fußes fliehen konnten und dann über dem Heer des Pharao zusammenbrechen? Das schien mir unwahrscheinlich! War’s ein Märchen? Wenn das ein Märchen war, waren dann die andern biblischen Geschichten auch Märchen? Aber Wunder soll‘s ja geben.
Etwas jedoch nervte mich an Pfarrer Angler. Er war herzensgut. Im Sommer z.B. steckte er mir immer Kirschen und Pflaumen zu, ob wohl dass Frl. Elisabeth, seine Schwester die Pfarrköchin, gar nicht gern sah. Pfarrer Angler war aber auch mein Beichtvater! Noch schlimmer! Wir wohnten im Pfarrhaus! In der Beichte wollte er immer alles wissen. Wie oft? Was natürlich? Natürlich wie oft ich gewixt hätte! Ob ich?s alleine getan hätte oder mit anderen? Ob ich Jungs oder Mädchen angefasst hätte? Natürlich unkeusch und so! Mädchen? Nee! Jungs! Ja, natürlich! Haben die freiwillig mitgemacht?
Seit neuestem wollte er unbedingt wissen ob die andern Jungen freiwillig mitgemacht hätten oder ob ich sie dazu gezwungen hätte. Was sollte ich denn antworten? Was wusste der schon wie’s in und nach der Schule zuging? Andere Jungen auszufangen, also an deren Bubenspitzle zu ziehen, war nicht nur ein Spiel. Wer den Anderen in die Hose fassen und am Spitz ziehen konnte, hatte das Sagen. Natürlich machte es mir auch Spaß. Natürlich war das mit viel Gekicher und etwas Gewalt verbunden!
Da Pfarrer Angler mir seit meiner Erstkommunion die Beichte abnahm, musste er eigentlich wissen, dass Wixen meine Lieblingsbeschäftigung war. Aber er schien das von Beichte zu Beichte vergessen zu haben. Dumm war nur, dass ich ihm nach der Beichte immer im Haus begegnete. Aber da tat er so, als ob er alles vergessen hätte. Und ich? Ich zog nur kurz den Kopf ein und die Sache war für mich abgetan. Aber hatte er wirklich schon eine Viertelstunde nach der Beichte schon vergessen, was ich ihm mit rotem Kopf gestanden hatte? Wer weiß?
Mit dem Schulleiter Gerstle war das wieder eine andere Sache, eine familiäre! Der hatte vor zwei Jahren begonnen meine Mutter zu poussieren. Jetzt waren die beiden ein Herz und eine Seele, auch wenn‘s niemand im Dorf wissen durfte. Seit Neuestem bildete sich Gerstle ein, bei mir so etwas Vaterrecht zu besitzen. Ich ließ mir das gern bei besonderen Gelegenheiten gefallen, z. B. zu Weihnachten oder an Geburtstagen. Dann schenkte er mir Bücher und etwas anderes. Zum letzten Geburtstag hatte er mir sogar einen kleinen Fotoapparat geschenkt, Das war richtig toll von ihm. Aber sonst? Ich mochte ihn nicht so richtig. Er war einfach zu streng und überhaupt nicht lustig. Ich mochte auch nicht mit Mama und ihm im Wald spazieren gehen. Das wieder fand Mama richtig gemein von mir.
Junglehrer Beck dagegen war ganz anders. Paul Beck war knapp über zwanzig. Er unterrichtete Mathe, Geschichte, Erdkunde und Deutsch. Bei uns in der fünften Klasse gab er auch Sport- und Turnunterricht. Da die Sporthalle zu Zeit geschlossen war, turnten wir jetzt in der warmen Jahreszeit im Schulhof. Besonders gern spielte er mit uns Britisch Bulldog.
Lehrer Beck fing immer als Fänger an. Wenn er sich einen von uns geschnappt hatte, hob er ihn hoch, wirbelte ihn herum und stellte ihn dann wieder auf den Boden. Dadurch wurde der Geschnappte auch Fänger und half ihm die anderen fangen. Wenn er mich gefangen hatte, hob er mich immer hoch und kitzelte mich, bis ich mir vor Lachen fast in die Hosen pinkelte und setzte mich erst ab, wenn ich schrie „Runter lassen, runter lassen!“. Das machte Spaß!
Während den folgenden beiden Vormittagsstunden gelang es mir ihm aus dem Weg zu gehen. Aber in der Sportstunde bei Britisch Bulldog erwischte er mich, schwenkte mich zweimal durch die Luft und während er mich erbarmungslos kitzelte flüsterte er mir ins Ohr, „Du weißt schon, dass ihr das nicht machen sollt! Die kleinen Schüler haben sich beklagt, dass ihr sie beim Wettpinkeln immer nass spritzt! Du sollst der Schlimmste sein! Der Anführer! Schäm Dich Magnus!“ „Aber das ist doch nur ein Spaß! Wir wollten doch nur wissen wer höher pinkeln kann. Wir wollten die Kleinen nie nass machen!“ schwor ich. Er schüttelte nur den Kopf, „Du bist mir ein Früchtchen Magnus! Schäm Dich! Als Strafe…...,“ ich merkte er überlegte krampfhaft. Da ihm nichts einfiel, setzte er mich zurück auf den Boden, „Hohl Dir die Strafe am Nachmittag nach der vorletzten Stunde ab! Ich muss mir erst mal was überlegen!“
Ich grübelte das gesamte Mittagessen über, auf was für eine Strafe er verfallen könnte? Mir fiel nichts ein! Geistesabwesend schlang ich die Bratkartoffel und Eier in mich hinein, bis Mutter es merkte. „Was ist los? Magnus, hast Du was verbockt oder ist was schief gegangen? MAGNUS!!“ Ich zuckte mit den Schultern, „Nein, nein, Mama!“ Dabei lief ich rot an. Aber meine Schwester petzte natürlich, „Der Herr Lehrer Beck hat mit Magnus, Nickl und Stani geschimpft. Alle haben‘s gehört. Nickl und Stani hat er die Ohren lang gezogen, aber mein lieber Bruder, der kriegt als einziger eine richtige Strafe! Jetzt hat er Angst! Guck nur, Mama, wie betröpfelt er schaut!“ Ich trat meiner kleinen Schwester ans Schienbein und zischte über den Tisch „Selber Angst, blöde Petze!“ und war weg ich, bevor meine Mutter fragen konnte was los genau gewesen war.
Im Nachmittagsunterricht, vor der letzten Stunde, der Mathestunde, fing mich Lehrer Beck auf dem Flur vor der Klasse ab, „Komm mit! Ich zeigt Dir was Du die nächsten fünf Tage als Strafe tun musst.“ Er zog mich am Ärmel zum Schuppen neben dem Klohäuschen. Als er das Vorhängeschloss der Tür aufschloss wurde mir mulmig zu Mute. Wollte er mich einsperren? Dann atmete ich auf, denn er wies erst auf einen leeren Korb und dann mit dem Finger auf mich! „Magnus, als Strafe trägst Du die nächsten fünf Tage Holz in mein Arbeitszimmer unterm Dach, machst dort den Ofen sauber, füllst ihn mit Holzscheiten, und heizt an. Jetzt Ende April ist es am Abend noch zu kühl, wenn ich eure Arbeiten korrigieren muss.“ Als ich ihn fragend anblickte, „In Mathe bist Du eh der Beste. Du kannst die Stunde heute verpassen!“ Dann zog er seinen Schlüsselbund aus der Tasche. „Hier! Weißt Du wo ich wohne? Oben unterm Dach? Du findest das Zimmer schon. Die andere Tür im Dachstock führt ins Bad.“
Lehrer Becks Arbeitszimmer war ziemlich groß. Es diente nicht nur als Arbeitszimmer, sondern es war seine gesamte Wohnung. Es war Arbeitszimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche zugleich. Ich staunte und sah mich erst einmal darin um. Das breite Bett mit dem Nachttisch daneben nahm einen großen Teil des Raums ein. Beim Eingang war ein Schrank und in der Ecke stand der Kanonenofen. Vor dem Fenster auf dem Schreibtisch häuften sich Bücher und Hefte. Das Fenster sah über den Pfarrgarten über den Fluss bis zum Wald auf der anderen Seite des Tals. Zwischen den Bücher und Heften blinkte ein Telefon. Rechts und links vom Schreibtisch waren Bücherregale. In denen lagen außer Büchern allerlei Krimskrams, Versteinerungen, Dosen mit alten Münzen, ein Feldstecher und ein abgebrochener Dolch, ansonsten befand sich nur noch ein kleiner, runder Tisch am Fußende des Bettes und ein Polstersessel.
Erst fegte ich die kalte Asche aus dem Ofen, dann schlichtete ich Holz in die Brennkammer, stopfte Zeitungspapier zwischen die Scheite und feuerte an. Als der Rauch ins Zimmer zurückschlug, sodass ich husten musste, erinnerte ich mich, dass ich den Schieber zum Kamin öffnen und das Fenster öffnen musste. Als das Feuer richtig gut brannte schloss ich das Fenster wieder.
Was sollte ich jetzt machen? Ich hatte ja gerade erst eine halbe Stunde meiner Strafe verbüßt. Das Bett war nicht gemacht. Also klopfte ich das Kopfkissen auf, richtete die Bettdecke gerade und strich sie glatt. Noch immer zwanzig Minuten bis Schulschluss! Ich begann mich näher umzusehen. Auf den Schreibtisch lagen Bücher und Schulhefte, rechts der Stoß Bücher, links die Hefte. Zuerst schaute ich die Hefte durch. Die Namen auf den Heften kannte ich, sie gehörten Schülern aus der Klasse unter mir. Manche Hefte hatten Eselsohren. Die Hefte mit den Eselsohren waren meist von den Jungen und die Eselsohren der Hefte passten zu den Namen, die auf den Schildchen der Umschläge standen.
Mitten auf dem Schreibtisch lag ein dicker Wälzer. „Griechische Geschichte und Mythologie“ waren in Großbuchstaben in den Umschlag geprägt. Unter dem Titel war das Bild eines nackten Mannes, mit Blitzen in der einen Hand. Lehrer Beck hatte uns das Bild schon gezeigt. Es stellte Zeus dar, den obersten Gott der alten Griechen. Zeus hatte einen Bart, sonst war er nackt. Etwas war komisch! Zeus war groß und mit Muskeln bepackt. Sein Spitz war nur ein Spitzchen. Klein! Bestimmt kleiner als meiner, als nach dem Baden im kalten Wasser. War nur sein Spitz so klein oder war er auch bei den anderen Göttern so klein? Und wie groß war der bei meinen Helden, bei Hektor, Odysseus, Herakles und bei Pratoklos. Ich kannte die Namen aus meinen eigenen Büchern, denn ich liebte Geschichte! Das mit den Bubenspitzle musste ich unbedingt nachprüfen! Ich schlug das Buch auf und begann zu suchen. Mein Kleiner hatte sich schon gemeldete, als ich das Bild von Zeus betrachtet hatte. Inzwischen war er steinhart, kein Bubenspitzle mehr.
Erst schlug ich das Inhaltsverzeichnis auf. Schon wollte ich weiter aufblättern, als mir ein Lesezeichen auffiel. Es ragte oben aus dem Buch. Hatte Lehrer Beck eine Geschichte mit einem Lesezeichen markiert und wollte sie uns später erzählen? Ich wurde noch neugieriger. Wenn ich die Geschichte heute schon lesen würde, dann könnte ich ihn in der nächsten Stunde mit meinen Kenntnissen verblüffen! Ich blätterte das Buch dort auf, wo das Lesezeichen steckte. Wieder eine Überraschung! Auf dem Lesezeichen, einer Postkarte, hielt ein Adler ein dickes, plärrendes Kind in den Krallen. Er schleppte es durch die Luft! Das Gesicht des kleinen Jungen war schreckverzerrt und vor lauter Angst pinkelte er. Ich ja hatte schon alle möglichen Geschichte über Entführungen gehört, von Mädchen die von jungen Männern entführt worden waren oder alternativ von bösen alten Männern. Ich hatte von Jungen gehört, die entführt und ermordet worden waren, jedoch keine Geschichte, in der ein Junge von einem Adler entführt worden war. Wollte der Adler ihn fressen? Der Adler schien auch nicht stark genug, um den fetten Jungen lange durch die Luft zu seinem Nest tragen zu können. Auf der Rückseite der Postkarte stand, Rembrandt „Raub des Ganymed“. Rembrandt war ein Maler, das wusste ich. Würde der aber etwas so unwahrscheinliches malen?
Ich las die Überschrift des Kapitels, das dort begann, wo die Karte gesteckt hatte. Sie lautete ebenfalls „Raub des Ganymed“. Die zweite Seite des Kapitels zierte ein ganz anderes Bild. Es war die Marmorstatue eines wunderschönen Jungen, der einem Adler einen Trank reicht. Der Junge war so hübsch, dass ich ihn sofort mochte. Das war bestimmt nicht das heulende Kind, dass der Adler wegtrug. Oder war aus dem hässlichen Kind ein schöner Prinz geworden. Aber warum bot er den Adler etwas zu trinken an?
Ich war so am Rätseln was es denn mit diesem Ganymed und diesem Adler auf sich hatte, dass ich vor Schreck fast in die Hose gepinkelt hätte, als sich hinter mir jemand laut räusperte und mir die Hände auf die Schultern legte. Ich fuhr herum oder versuchte es wenigstens. Da hörte ich eine bekannte Stimme, „Das treibst Du also in meinem Zimmer! In meinen Bücher schnüffeln.“ Die Worte klangen jedoch nicht böse, eher stolz! Es war mein Klassenlehrer, Lehrer Beck. Verschmitzt sagte er, „Heute Mittag habe ich das Buch extra hier hin gelegt, um herauszufinden, für was Du Dich noch interessiert außer für Hoch- und Weitpinkeln.“ Jetzt wurde mir richtig heiß. Mit rotem Kopf sagte ich schüchtern, „Natürlich interessieren mich auch andere Sachen, als „ verschluckte das Wort „schiffen“ lieber und sagte, „Aber ich habe nicht so viele Bücher und schon gar keine,“ und jetzt wurden meine Ohren ganz heiß, „wie das hier, mit Geschichten und…...“ ich zögerte einen Augenblick und sagte dann „Götter“, Eigentlich lag mir „nackte Männer“ auf der Zuge. „Sind Sie mir böse, weil ich das Buch angefasst habe? Ich habe mir vorher der Ruß von den Händen gewaschen.“
Lehrer Beck verstrubbelte mir erst noch die Haare, drehte dann den Bürostuhl auf dem ich saß herum und lachte mich an. „Böse? Nein! Warum auch, Magnus. Hast Du schon angefangen die Sage von Zeus und Ganymed zu lesen?“ Als ich ihn verwundet anblickte, „Also von Ganymed und dem Adler, denn in der Geschichte hatte sich Zeus in einen Adler verwandelt, um den Hirten Ganymed auf den Olymp zu entführen. Er hatte sich Hals über Kopf in ihn verknallt!“ Als ich den Kopf fragend schüttelte, meinte er, „Das solltest die Sage selbst lesen, aber nicht jetzt. Setzt Dich in den Polstersessel und lass mich auf den Drehstuhl, dann erzähl ich Dir kurz den Inhalt der Sage, sonst kannst Du die ganze Nacht vor Neugierde nicht schlafen und ich bekomme Krach mit deiner Mutter. Aber danach musst Du heimgehen gehen, sonst meint sie noch, ein Adler hätte Dich entführt.“ Dann begann er zu erzählen.
Bis tief in die Nacht musste ich über die Sage vom Adler und Ganymed nachdenken. Ich malte mir aus, wie Zeus sich in den Hirten Ganymed verliebt hatte, wie er ihn in Gestalt eines Adlers entführte, zu seinem Mundschenk erhob und überlegte was er sonst noch mit ihm gemacht haben könnte. Die Geschichte ließ keine Ruhe. Zeus verliebt sich in einen Hirten, also in einem Jungen? Das konnte ich mir kaum vorstellen.
Sich in einen Jungen verlieben? Ja, konnt ich mir vorstellen. Aber in einen Schafhirten? Ich kannte nur einen Schafhirten in Gondersdorf. Den mochte ich zwar und besuchte ihn ab und zu auf der Weide. Der war jedoch weder schön mit seinem zerzausten Bart, noch roch er gut. . Er stank immer wie sein Schafbock. Dagegen war der junge Hirte, der dem Adler die Schale zum trinken hinhielt, schön, schöner als meine Schulkameraden. Na ja, er war schließlich aus Marmor und nicht Fleisch und Blut.
Hätte ich ihn entführt, wenn ich Zeus gewesen wäre? Weiß nicht! Aber ich war nicht so alt wie Zeus, viel eher wie der schöne Ganymed. Aber sooo schön war ich auch wieder nicht, jedenfalls nicht so schön wie der Marmorjunge in der Abbildung! Das Nachdenken über Ganymed und Zeus brachte mich ganz durcheinander. Ich konnte nicht einschlafen und kam erst zur Ruhe, als ich mit meinen Kleinen spielte bis es spritzte. Dabei stellte ich mir Ganymed vor, allerdings nicht als Marmorstatue, sondern……!
Der nächste Tag war ein Mittwoch, der Tag vor dem ersten Mai, einem Feiertag. Ich war ganz gespannt, ob ich heute wieder Holz in Lehrer Becks Zimmer bringen und den Ofen anheizen sollte. Natürlich kam er nach der vierten Stunde, drückte mir den Schlüssel in die Hand, „Du weist schon was Du zu tun hast. Bring das Holz hoch, aber heize nicht an.“ Das wunderte mich. Als ich mit dem Korb voll Holz ins Dachzimmer kam, war das Bett schon gemacht und auf den kleinen runden Tisch lag das Buch neben einer Tüte mit Himbeerbonbon. Daneben lag ein Briefumschlag auf dem stand:
Für Magnus
Der Brief drinnen war in der gleichen Schönschrift geschrieben:
Lieber Ganymed,
Magst Du Himbeerbonbon?
Die sind bestimmt nicht als Belohnung für Deine schwarzen Taten gedacht! Die sind für Deine Hilfe und die Freude, die ich als Lehrer an Dir habe! Lass sie Dir schmecken!
Gleich nach dem Unterricht fahre ich weg. Wir sehen uns daher erst am Freitag wieder. Wenn Du nach dem Aufräumen noch Lust hast, dann kannst Du ja beginnen die Sage über Ganymed und dem Adler zu lesen. Wenn Du heute nicht fertig wirst, kannst Du morgen wiederkommen und weiterlesen. Du hast ja den Schlüssel.
Schönen Ersten Mai!
Vergiss nicht die Tür abzuschließen.
Wir sehn' uns!
Pollux
Ich rieb mir erstaunt die Augen! Wer war Pollux? Oder besser warum nannte mein Klassenlehrer mich Ganymed und unterschrieb mit Pollux, wenn sein Vorname doch Paul war. Aber warum hatte er eigentlich den Brief geschrieben und ihn so unterzeichnet? Wer war Pollux oder besser warum nannte er sich Pollux?
Mann, Mann, Mann! Fragen über Fragen. Soviel, dass mir die Lust aufs Lesen verging.